Gedanken

Wo bleibt die Unbefangenheit meiner inneren Welt? Der Dichter schrieb von zwei Seelen in der Brust, zwei Masken symbolisieren theatralische Wendigkeit. Ein lachendes, ein weinendes, wohl mehr als der bloße Abklatsch vergebener Werte.
Verdanke ich ihr, meines Herzens einzige, eine Erkenntnis der unsichtbaren Werte oder nur die der eigenen, unreifen Unvollkommenheit? Verschenkte Liebe, oder nur geopferte? Geopfert auf dem Altar Gemeinsamkeit. Nirgends sonst fand ich in dieser elementaren Form das Gefühl und die Gewißheit, begehrt, geliebt und lebenswichtig zu sein. Ein Wissen, dessen Erreichung so manchem Sentimentstorso, gefühlstotem Menschen verborgen bleiben muß. Aber gerade dies tut so wahnsinnig gut in einer Welt, arm an Sinn und Sensibilität für das kleine, intime Glück. Elementarteilchen der Liebe.
Sie ist ein abstrakter Begriff, ohne greifbaren Inhalt für jeden, der außenstehender Zuschauer bleibt. Zum ersten Mal erlebte ich sie nun, ohne diesen Begriff als Überschrift für eine so gewaltige, aber unglücklich jäh zertretene Gemeinsamkeit zu gebrauchen. Mir liegt nicht am Herzen, eine definitive Aussage zum Inhalt der Liebe niederzuschreiben, sondern meinen, an die rauhe Oberfläche gespülten, sensiblen Kern ausleben zu dürfen.
Die rote Rose sei der Schatz, ein heiliges Bild, anbetungswürdig. Lieblich in ihrer filigranen Schönheit, wehrhaft dem bewußten Derben, dem gewaltheischenden Vergehen. Arroganz, Egoismus.
Gewinnt es Oberhand, siegt über Zartheit und Lieblichkeit, vergeht die Rose, stirbt doppelt, aber nicht kampflos. Der Goliath im Egoismus zertrat die Rose. Ein Dorn vergällt ihm seitdem die Freude am Gehen. Tief steckt er im unflätigen Fleisch der Gewalt.
Ich fühle mich, als hätte ich mich selbst erwürgt. Sagt selbst! Kann das Liebe sein?

Originaltext: Th. Legler, 1990