Madeleine Lemmont 2

Nachdem Sie sich ein paar Wochen Urlaub gegönnt hatte, beorderte Pearl Canopus sie zurück in den Chefsessel der Divide et Impera DE. Ihr erschloss sich allerdings der Hintergrund seines Verhaltens nicht. Diese Achura waren schon seltsame Vögel.
Erst unlängst hatte er sich in Arnon aufgehalten, um den Sisters of Eve und der Gallentischen Förderation ein paar Gefälligkeiten zu erweisen. Nachdem er zurückgekehrt war, bemerkte sie dessen verstohlene Blicke und glaubte oft Andeutungen sexueller Natur in seinen Bemerkungen wahrzunehmen. Zweifellos war er charmant und besaß auch ein, wie soll man das ausdrücken… ein inneres Leuchten. Eine ganz besondere Ausstrahlung. Allerdings schrieb man diese auch den Achura ganz allgemein zu.

Sie musste sich Klarheit verschaffen über den Stand der Dinge zwischen ihm und ihr. Drum hatte sie Pearl auf einen Tee in ihr Kapitänsquartier eingeladen. Madeleine hoffte inständig, dass es sich eher um eine fehlerhafte Deutung ihrerseits handelte. Zweifellos war sie nicht mehr so jung, wie sie aussah. Man hatte an diesem Punkt ein wenig mit den Klonen getrickst. Nichts Außergewöhnliches für eine Gallente übrigens. Ererbte Erinnerungen ließen sie darüber hinaus mental auf ein erhebliches Alter zurückblicken.
Aber dennoch… Madeleine fühlte sich elend bei dem Gedanken, Pearl gegenüber womöglich Aufgeschlossenheit für ein sexuelles Abenteuer signalisiert zu haben. Das konnte nicht gut gehen. Schließlich arbeitete man zusammen…

Der Signalgeber der Tür riss Madeleine aus ihren Gedanken.
Pearl trug einen langen, hoch geschlossenen, dunkelblauen Mantel. Madeleine hatte ihn schon länger nicht mehr quasi im Festgewand gesehen. Ihr wurde etwas flau.
– „Leg doch ab, Pearl.“
– „Wenn ich darf.“
– „Ja sicher, das ist kein formeller Anlass.“ Hatte sie das jetzt so ausdrücken dürfen? Verdammt…
Pearl schlüpfte aus dem Mantel und trug eine passende, doch relativ elegantes Jackett offen über dem ebenfalls hoch geschlossenen Hemd. Er mochte offenbar seine neuralen Adapter entlang der oberen Wirbelsäule nicht jedem vor Augen führen. Sein noch immer deutlich rot schimmerndes Haar trug er wie immer sehr kurz geschoren. Pearl hatte eher etwas väterliches an sich.
Madeleine konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, sich in jemanden wie ihn zu verlieben. Ja, sie war alt. Älter als er. Aber er… er… er sah halt auch alt aus. Aber auch weise.
„Nimm doch Platz!“ bat sie ihn. „Der Tee ist sofort fertig.“
Pearl nickte nur, während er zielstrebig auf das Sofa zusteuerte.

Während Madeleine das Teesieb abtropfte, blickte sie immer wieder zu Pearl hinüber. Sie vermochte nicht zu sagen, was hier gerade vorging. Aber es ging etwas vor sich. Etwas Unerklärliches halt. Pearls Gestalt schien fast zu verschwimmen. Wie eingenebelt oder hinterleuchtet oder… Seltsam eben.
Sie trug die Kanne zum Tisch und nahm gegenüber von Pearl Platz, nachdem sie Tee in beide Tassen eingeschenkt hatte.
Pearl hatte sich zurückgelehnt und sah sie mit einer Miene an, die sie nicht zu deuten verstand. Freundlich, fast lächelnd, leuchtend… Sie schüttelte unmerklich den Kopf und begann zu sprechen.
– „Pearl, ich habe dich hergebeten, um mich zu vergewissern, dass es dir gut geht.“
Er schwieg und hörte offenbar aufmerksam zu, ohne dass sich seine Miene veränderte. Madeleine fühlte sich etwas verunsichert. Sollte sie ein Thema anreißen, dass er womöglich gar nicht als ein Thema empfand? Sie fasste Mut und entschied sich dafür.
– „Pearl, ich fürchte, ich habe den Eindruck bei dir erweckt, dass ich an einer erotischen Liason mit dir interessiert sei…“
Er schwieg. Und lächelte andeutungsweise. Was hatte er nur vor?
– „Ich kann von mir nur sagen, dass ich für dich wohl kollegiale aber keine erotischen Gefühle hege. Pearl, wir arbeiten zusammen. Es könnte sich auf diese Zusammenarbeit nachteilig auswirken, wenn eine solche Beziehung scheiterte.“
Verdammt, was erzählte sie da. Fast Tausend Jahre Erfahrungen und kein bisschen schlauer. Es konnte doch nicht scheitern, was gar nicht gewollt war. Sie fühlte sich fast wie als Schulmädchen. Wie lange war das eigentlich her. Als sie fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, drehte sich sich leicht weg. Doch ihr war klar, dass Pearl sie gerade aus dem Konzept gebracht hatte. Sie, Madeleine, die taffe Geschäftsfrau.
Als sie wieder zu ihm sah, nippte er an seiner Tasse und lehnte sich wieder zurück, während er diese mit der Untertasse stützte. Pearl sah sie weiter mit unverändertem Gesichtsausdruck an. Freundlich und unverbindlich.
– „Pearl, entschuldige. Ich bin nicht an einer Beziehung interessiert. Unser Arbeitsverhältnis könnte darunter leiden. Nur das wollte ich deutlich machen.“ Sie blickte ihn an. Er blickte zurück. Nun allerdings deutlich lächelnd.
– „Was ist los, Pearl? Belustige ich dich?“
Er stellte die inzwischen geleerte Tasse eilig auf dem Tisch ab und schüttelte den Kopf.
– „Nein, Madeleine, verzeih mir. Es lag nicht in meiner Absicht, dich zu verunsichern oder mich gar über deine Gefühle lustig zu machen. Glaub mir.“
– „Ich bin nicht verunsichert.“ Obwohl sie hätte wütend sein müssen, war sie eher verlegen. Er hatte sie ertappt.
– „Madeleine, du weißt, was ich bin, oder?“
Sie nickte. Doch wusste sie es wirklich? Etwas geschah hier und sie verstand es nicht. Sie konnte eine Situation aber nicht kontrollieren, die sie nicht verstand.
– „Pearl, du hast mir gegenüber mit Körpersprache und Worten zu verstehen gegeben, dass du an einer sexuellen Ãœbereinkunft interessiert bist. Das habe ich zumindest so wahrgenommen. Wenn dem nicht so ist, habe ich das missverstanden und alles ist im Lot.“
– „Madeleine, ich stamme aus einer Erblinie von Wahrsagern. Diese Fähigkeit ist bei mir nicht besonders ausgeprägt. Doch die Sisters of EvE haben mir Meditationstechniken vermittelt, die in mir andere, bislang verborgene Talente zum Vorschein brachten. So sei mir bitte nicht böse, wenn ich dir ins Gesicht sage, dass deine Worte und deine Aura sich hier sehr deutlich widersprechen.“ Er hob abwehrend die Hände, damit sie ihn nicht gleich wieder unterbrechen konnte. „Ich respektiere die Aussage deiner Vernunft. Kann ich doch warten. Aber eines ist definitiv nur eine Ausrede…“
– „Was?“
– „Wir sind Kollegen, müssten es aber nicht sein. Das ist nur eine Ausrede. Ein Hintertürchen für deine wahren Gefühle…“ Wieder unterbrachen seine Hände sie beim Luftholen für eine Erwiederung. „Madeleine, ich kündige hiermit. Dieses Hindernis aus dem Weg zu räumen, ist nun wirklich überhaupt kein Problem.“
– „Aber… Pearl, ich denke nicht… ich glaube nicht, dass… Warum tust du das? Ich bin nicht interessiert…“

Es war ein warmes Leuchten. Die kurzgeschorenen Haare wirkten wie ein sanfter Flaum, der sein markantes Gesicht umspielte, dass gar nicht so alt wirkte. Vielmehr besaß er ein charmantes und zugleich spitzbübisches Lächeln…
– „Pearl, was soll das? Ich bin nicht… ich will definitiv nicht… verdammt, Pearl!“
Er griff ihre Hände und blickte ihr tief in ihre Augen.
– „Ich respektiere dich und deine Entscheidung. Etwas das du deinem Kopf überlassen hast, obwohl mir alles an dir etwas anderes signalisiert. Aber ich beraube dich eines Arguments. Ich bin draußen.“ Pearl stand auf und wandte sich zum Gehen.
– „Pearl ich kann deine Kündigung in dieser Form nicht akzeptieren.“
– „Keine Sorge. Ich wahre Form und Etikette, Madeleine.“ Er lächelte wieder.
– „Schade. Das hätte so nicht kommen müssen…“
– „Doch Madeleine, es musste genauso kommen. Ich bin Seher wie du weißt.“ Sein Lächeln wurde breiter.
– „Verstehe.“
– „Nein, ich denke nicht. Aber das wirst du ganz sicher noch.“
Als sie ihm förmlich die Hand reichen wollte griff er mit seiner rechten Hand nach ihrer Wange und strich mit dem Daumen eine Strähne ihrer roten Mähne aus der Stirn. Weich. Warm. Sonnig.
– „Ich hoffe du überlegst es dir noch anders.“ sagte sie, während sie seine Hand sanft von ihrer Wange zog.
Wieder lächelte er nur. Seine Augen schienen zu sagen, dass er eher hoffe, sie würde es sich anders überlegen. Doch das lag außerhalb jeglicher Vernunft. Doch wann war Liebe jemals vernünftig.

Als sich die Tür hinter Pearl geschlossen hatte, versuchte sie eiligst diesen Gedanken hinter ihrer Stirn zu verscheuchen. Es war doch keine Liebe. Er hatte sie beeinflusst. Verdammt noch eins. Die Sisters mussten wahre Meister ihres Faches sein, wenn sie einem so etwas beibringen konnten.
Diese Wärme und dieses Licht… Sie hätte sich nach diesem Gespräch unbehaglich fühlen müssen. Doch sie fühlte sich geborgen und irgendwie auch glücklich.
Das war wohl, weil sie ihn so souverän hatte abblitzen lassen. Sie war mit sich zufrieden. Eine taffe Geschäftsfrau halt.

Der Anstand verbietet zu berichten, wovon sie in jener Nacht träumte. Doch es veränderte ihre Welt in einer Weise, die sie nicht für möglich gehalten hätte…
Taffe Geschäftsfrau… am Arsch!