Handlungsfaden

Zeit der Handlung: 2. Epoche, ab etwa 2100
Ort der Handlung: deutsche Wissenschaftlersiedlung, irgendwo im Universum

Inhaltsübersicht: Wissenschaftler baut ein Experiment auf, dass aber schiefgeht. Nach zeitgenössischem Ehrenkodex wird der Mann verpflichtet, seinerseits an einem Experiment teilzunehmen, welches sich mit der Untersuchung von Anomalien und Körperreaktionen unter extrem-temporären Bedingungen beschäftigt. Es mißglückt ebenfalls. Er quert das Universum bis zum kurz bevorstehenden Hungertod. Zu diesem Zeitpunkt holt ihn das 30. Jahrhundert ein…

Handlungsebenen:
2. Epoche
4. Epoche (tritt nur technisch in Erscheinung)

Abfolge: ohne
Ziel: ohne

inhaltl. Grobkonzept:
Ein Wissenschaftler experimentiert mit Entmaterialisierung und Rematerialisierung. Bei einem Experiment am Menschen begeht er einen Denkfehler und tötet das Medium. Durch seine fehlende Lizenz wird er zum Ausgestoßenen. Seinerseits verpflichtet bei einem Experiment seine Wiedereingliederung zu verdienen, gerät das Experiment außer Kontrolle. Zwischen Magnetfeldern, die mit Sonnenenergie gespeißt werden entsteht eine Feldverwirbelung durch Sonnenüberaktivität die zu einer irregulären Hyperbeschleunigung der Kapsel führt. Beim Durchdringen des magnetischen Pols verschwindet die Kapsel. Auch dieses Experiment war also mißlungen, oder nicht?
Da die Lizenz in Ordnung ist, geschieht dem Wissenschaftler nichts. Beim Nachverfolgen der Auswirkungen wird ihm klar, daß die Geschwindigkeit nicht irgendeine beliebige Sublichtgröße erreichte sondern vermutlich mehr. Lebte das Medium also noch? Wenn ja, wo war es dann?
Die Überlegungen führten zu keinem Ergebnis. Man gab die Suche auf. Was sollte man suchen? Wo? Wie? Womit?
Der Kontakt zur Kapsel war erst einige Zeit nach dem Verschwinden abgebrochen. Offenbar hatte das Medium nicht die geringste Ahnung, was passiert war. Beim Erreichen der größten Beschleunigung schien es keine Auswirkungen auf den Menschen zu haben. Wie kam es, daß es Kontakt gab, obwohl die Kapsel genaugenommen nicht mehr existierte? Hatte der Einsteinraum mit Relativität zugeschlagen oder war es „Dr. Warp“ gelungen, das Unmögliche zu schaffen?
Martin Grund spürte, daß etwas nicht in Ordnung war. Er meldete sich…. Ihm, dem Medium, fiel die überdimensionale Geschwindigkeit nicht mehr auf. Vor den Kapselfenstern verschwammen die Sterne, verschmolzen zu einem leuchtenden Kneuel, das wieder auseinanderplatzte. Dann sah alles wieder so aus wie vorher. Einem Profi wäre die veränderte Konstellation aufgefallen. Am anderen Ende der Leitung rührte sich nichts mehr. Rauschen auf dem ganzen Band. Keiner kümmerte sich um ihn. Er wurde hungrig, noch hungriger, verrückt vor Hunger und Durst, schwach, dünn, dünner… Ein leichter Ruck und dann Ruhe. Die Ruhe vor dem Sturm. Höhepunkt der Story: Der Maschinenhasser (eine intelligente Maschine gibt es nicht) wird von einer Raumpatrouille aufgegriffen… nicht menschlich… Das niedere Kohlenstoffwesen Martin Grund lernt die umgekehrte Form von Rassismus kennen. Nicht er steht in der Herrscherrolle sondern eine seelenlose Maschine
Maschinen dienen dem Selbstzweck. Die Raumpatrouille dient dem Sammeln von Wissen über reproduzierbare Dinge und der Erkundung von Rohstoffen, etc. Was ist einer Maschine wichtig? Was erwartet sie vom „Leben“.
Sie verehren den Freiheitshelden, der menschliche Wertungskriterien salonfähig machte, wenn auch die menschliche Gestalt nicht zweckmäßig war, sondern von ihm als ästhetisch bezeichnet wurde… Der Prophet der Zivitronic. Ohne seinen Einfluß wäre jedes Kohlenstoffwesen aufgrund seiner Unzweckmäßigkeit verwertet worden, wie es während des Selbständigkeitskampfes notwendig war. Eines dieser Kohlenstoffwesen wurde im Maschinenleib zu einem überlegenen Führer. Zum Propheten. (Letzter Abschnitt stellt die Verbindung zum „Seitenwechsel“ vor.)

regionale Historie:

 

1.

Die Siedlung lag im Schein der durch die Filter mäßig gedämpften Sonne. Für den Nachmittag war Regen angekündigt worden.
Als ob dieser nicht im Garten präzise niedergehen konnte. Nein, wieder mußte er, Martin Grund, darunter leiden, daß sich die Mehrheit der zweiundvierzig Einwohner der Siedlung gegen seinen Einspruch einen Vollregen bestellten. Jedes Mal wenn dieser Regen fiel, mußte er die lärmenden Reinigungsroboter ertragen, die sein Grundstück in ein Chaos verwandelten. Hatte er nicht die Steueranlage programmiert, mit deren Hilfe natürliches Kondenswasser zielgerichtet unter der Kuppel der Siedlung verteilt werden kann. Ein Vollregen hieß jedesmal, den Rechner auszuschalten, um die Sammelventile manuell zu öffnen. Er weiß schon gar nicht mehr, ob die Steuerung durch die vielen Abschaltungen überhaupt noch voll funktionierte.

Doch nicht nur dies ließ Martin rasend werden. Seit geraumer Zeit war auch die Verläßlichkeit der Zuliefereinheiten rasch gesunken. Unpünktlich und scheinbar wahllos übergingen sie seine terminierten Anforderungen. Damit war auch die schlechte Laune für den Rest des Tages gerettet. Sein geniales Experiment stand seit vier Stunden und achtzehn Minuten unvollendet, nur weil die letzten fehlenden Teile nicht termingerecht geliefert wurden. Doch verwunderlich war das gar nicht. Seit die Menschen vor etwa eineinhalb Jahren die Kontrolle und Koordinierung den Automaten selbst überließ, mußte zwangsläufig alles drunter und drüber gehen. Der Mensch fehlte in der Befehlsreihe einfach. Und nur der hätte dem lahmen Pack Beine und Flügel machen können. Vier Stunden und zweiundzwanzig Minuten.
Anfangs lief ja alles ganz gut. Sie wollten zeigen, daß sie es konnten. Die Schlamperei riß erst ein, als die Siedler aus der Stadt gänzlich auszogen und die Kontrollmanuale stillegten. Verdammte Blechdinger. Sie mußten nur darauf gewartet haben. Zugegeben, die Produktivität hatte unglaublich zugenommen – aber war das nicht auch das Mindeste? Die Versorgung der Menschen jedoch schien plötzlich nur noch zweitrangig zu sein, in den Hintergrund zu treten.
Er haßte die gefühl- und vernunftlosen Blechkästen. Vier Stunden und dreißig Minuten.
Am Haupttor und der Schleuse regte sich plötzlich Leben. Endlich brachte man wohl seine Lieferung.
Nein, was er sah erboste ihn maßlos… Vielleicht zwanzig Trabots und andere nicht identifizierbare Bestandteile bildeten einen gigantischen Lastenroboter. Er, Martin Grund, Professor und Doktor der Kybernetik und Molekularphysik und Doktor-Ingenieur für biokinetische Transformierungstechnik, mußte geschlagene vier Stunden und zweiunddreißig Minuten auf seine Geräte warten, weil die Blechmonster erst ein Knäuel zu bilden geruhten. So eine Art Sammellieferungs-Manier schien um sich zu greifen. Noch ganze vier Minuten dauerte es, bis der Haufen sich aufgelöst hatte und seinen Aufgaben nachkam. Die Trabots lösten sich und schwärmten unter Aufsicht einiger Kabots aus. Der KaPode XR 4C, der Sicherheits-Autopode der Siedlung, auch liebevoll Exer genannt, beobachtete intensiv das Treiben. Einigen diebischen TraBots hatte er so intensiv „auf die Finger“ geschlagen, daß diese zur Verwertung in die Stadt gebracht werden mußten. Exer also blieb am Tor der Siedlung stehen, um einen letzten Rest Ordnung abzusichern.
Eine solche Maschine fand Martin dutzendfach sympathischer, als einen von draußen. Denen konnte man nicht trauen. Peinlich genau achtete Exer darauf, daß die Transportrobots nichts anrührten. Diese luden unbeeindruckt ab und verschwanden wieder, sich im Abmarsch wieder zum Knäuel verkeilend.
Martins Hauskybernet, ein netter umgänglicher Oldtimer aus der ersten von ihm selbst entwickelten Serie, fügte alle Geräte nach Zeichnung zusammen. Professor Doktor Martin Grund schwoll die Brust. Wie hatte er das wieder gemacht? In Gedanken klopfte er sich auf die Schulter.

Die ersten Experimente zeigten eindeutige Erfolge. Pflanzen und auch kleinere Tiere ließen sich mühelos und gefahrlos von einer Sendestation in Energie verwandeln die von einer entfernt stehenden Antenne eingefangen und im Empfangsgerät laut Muster wieder materialisiert wurde. Kein einziger Punkt seines Probelaufs im mathematischen Test wurde in Frage gestellt oder auch nur durch einen Hauch von Zweifel getrübt. Er konnte sein erstes wirklich revolutionierendes Kunstwerk zur Anwendung bringen. Vor einiger Zeit hatte er ein Komplementärgerät gebaut, daß sowohl zu senden als auch zu empfangen vermag. Es konnte von seiner Zentrale ferngesteuert und somit vollständig eingestellt werden. Er sendete vor dem eigentlichen Medium erst eine Informationssequenz, deren korrekter Empfang ihm rückquittiert wurde. In seinem Labor funktionierte alles so fehlerfrei, daß er an sein Genie glauben durfte. Kein einziger Fehlversuch in den letzten einhundert Reihen.
Er wollte nun endlich einen Menschen zur historischen Kultfigur machen. Leider konnte er nicht sich auf diese unglaubliche Reise schicken… wer sollte seine Erfindung so sicher bedienen können wie er selbst. Einen Fehler konnte er nicht verantworten. Würde er aber auch nicht müssen.
Er prüfte sorgfältig seine Personen-Identifikations-Karte, oder kurz PIK auf Lizenzen. Die von ihm durch die Entwicklung der Wettersteuerung gutgeschriebene Lizenz würde er nun einlösen. Am Terminal trug er seinen Wunsch ein: Lizenz NH3 – die Lizenz, natürliche humanoide Lebensformen für Forschungszwecke mit garantierter Lebenserhaltung zu verwenden. Diese Personen waren meist Ausgestoßene, die über ihre Möglichkeiten gelebt und alle Lizenz-Kredite verloren hatten, die NULL-Kategorie Mensch. Diese lebten entweder außerhalb menschlicher Siedlungen als Vogelfreie oder in den Arbeitssektoren, die für die Maschinen zu verschleißintensiv waren. Ein Mensch der sich im Rahmen der NH3-Lizenz zu einem Versuch meldete, hatte die Möglichkeit, seinen Kreditrückstand zu löschen und ein freier Mensch zu werden. Sekunden später wurde angezeigt, daß zum Erwerb dieser Lizenz seine Gutschrift nicht ausreiche. Was war das schon wiederfür ein Trick. Er tippte nochmals ‚Lizenz NH3‘. Die gleiche Antwort. Er ließ sich die NH-Kategorien anzeigen, verglich sie mit seinem Handbuch. Alles korrekt. Wie konnte sein Konto dies nicht hergeben. Die Tasten stöhnten unter seinem wütenden Hämmern. Tatsächlich ließ sein Kontostand den Erwerb einer der höchsten Lizenzen nicht mehr zu. Stimmt, jetzt kehrte die Erinnerung zurück. Natürlich, der Transport der Komplementärstation nach Moon-Town II verschlang ein Vermögen, weil er sich wegen des einen Mals keine interplanetare Freiflug-Lizenz kaufen wollte.
Urlaub machte er nie, Geschäftsreisen waren unnötig…
Er hatte alles was er zum Leben brauchte – und eine Freifluglizenz brauchte er ganz sicher nicht. So furchtbar es war, er mußte eine großartige Erfindung machen, um sich die Lizenz NH3 leisten zu können.
Verdammt, er arbeitete seit Monaten an einer Erfindung, die ihm die Freizügigkeitslizenz einbringen konnte und nun sollte es daran scheitern, daß er sich die NH3 nicht leisten konnte. Brauchte er sie denn überhaupt. Für das Leben der Person bestand überhaupt kein Risiko, er hätte es sogar selbst getan, so sicher war er. Die Vorschriften verlangen aber bei Neuentwicklungen die NH3 für Versuche mit lebenden Personen. Aber wenn kein Risiko besteht?
Die NH2 – Lizenz ermöglicht Versuche mit lebenden Personen, deren Ãœberleben gesichert ist und deren Gesundheit nicht über 10% angegriffen werden kann. Auch dafür reichte die Gutschrift nicht aus. Die einzige Lizenz mit deren Hilfe er eine Versuchsperson bekommen konnte war die NH1. Die NH0 bedeutete die Anforderung eines Lebewesens lediglich zum Zwecke des Zeitvertreibs durch Gespräche oder intimen Verkehr, Dinge also die nichts wissenschaftliches an sich haben.
Mit der NH1 wurde ihm die Möglichkeit gewährt einen Menschen einem geistigen oder gesundheitlichen Test zu unterziehen, ohne physische oder psychische Experimente zu erzwingen, wenn sie nicht frei gewährt werden, nachdem die Versuchsperson vollständig über Inhalt und Wesen des Versuchs aufgeklärt worden ist. Reichte dies nicht auch schon aus?
Nachdem ihm bestätigt wurde, daß er zum Erwerb der NH1-Lizenz ausreichend kreditiert sei, bestätigte er den sofortigen Erwerb. Gleichzeitig orderte er seinen ersten Versuchspartner. Zum einen würde er selbst berühmt werden und die Freizügigkeits-Lizenz zum anderen könnte er ein menschliches Wesen der NULL-Kategorie wieder zu einem normalen Leben verhelfen. Er durfte jedoch nicht vergessen, von seinem Freizügigkeitskonto sofort die NH3 nachzukaufen. Eine kurze Zeit würde dies bestimmt nicht auffallen. Schnell prüfte er alle seine Lizenzen auf ihre Geltungsdauer und lehnte sich zufrieden zurück als er sah, wie jede einzelne neu bestätigt und zusätzlich um einen Turnus verlängert wurde. Er fühlte sich berauscht. Übermütig orderte er für den Abend eine Frau über die NH0.

Die Siedler würden ihn feiern müssen. Er genoß in Gedanken die zelebrierten Gratulationen und die feierliche Übergabe der Freizügigkeits-Lizenz, mit deren Hilfe er alles haben konnte. Na gut, fast alles. Auf alle Fälle könnte er sich dann getrost anderen Menschheitsträumen und deren Verwirklichung widmen, ohne jemals irgendeiner kreditären Einschränkung Tribut zollen zu müssen. Ja, das war sein Ziel und diesem wußte er sich greifbar nahe. Der Tag seines Triumphes war angebrochen.
Für den Nachmittag war die Versuchsperson der NULL-Kategorie angekündigt worden. Eine männliche Person, die beim Diebstahl von Früchten im Gemeinschaftsgarten gefaßt wurde. Für die NH1 werden keine Schwerverbrecher ausgehändigt, das war klar und gut so. Ein hervorragend durchdachtes System, das die Gesellschaft funktionsfähig erhält und jedem die gleichen Chancen einräumt. Auf- und Abstieg in Abhängigkeit von Wichtigkeit und Leistung des Einzelnen. Besitz spielte dabei eine sehr untergeordnete Rolle, denn vererbt wurden Lizenzen nicht. Eben natürliche Auslese.
Martin widmete sich den Vorexperimenten. Die Ratte im Käfig schien ängstlich.
– Na, mein Zuckerschnäuzchen, – beruhigte es Martin, – du brauchst keine Angst zu haben. Das funktioniert alles prächtig, ich habe es nämlich selbst entwickelt. –
Die Ratte blieb davon unbeeindruckt und nagte weiter nervös an den Gitterstäben. Die Rückmeldung, das OK vom Mond traf ein. Der aufgetretene Zeitversatz störte Martin nicht.
– So, Schatzi, der Mond sagt o.k., guten Flug, bye, bye! – Er betätigte die Auslösetaste und die Ratte verschwand planmäßig ohne einen Laut von sich zu geben. Das Kommunikationsterminal „klopfte“ an. Martin nahm das Gespräch entgegen. Der Versuchsassistent auf der Mondbasis quittierte den Empfang einer lebenden, gesund aussehenden Ratte. Dies mußte Martins glücklichster Tag sein. Er begann unvermittelt ein altes Kinderlied zu singen und registrierte seinen Gesprächspartner, sein Lächeln und den schwindenden Empfang nicht mehr.
Die Kuppelfilter begannen dem grellen Sonnenlicht zu trotzen. Funkwellen gelangten nunmehr nur über die Zentralantenne ins Innere, die sich noch nicht eingeschaltet hatte. All dies übersang Martin im Glücksrausch. Als es an der Tür läutete, konnte er sich gar nicht so schnell beruhigen. Noch immer ein Pfeifen auf den Lippen öffnete er die Haustür. Zwei Männer, die er nicht kannte, standen vor ihm.
– Ist das mein Gast für den Nachmittag? –
Sein Gegenüber bestätigte es ihm und er unterschrieb das Formular, quittierte den Erhalt einer Person NULL-Kategorie.
– Ich hole ihn in zwei Stunden wieder ab. – bemerkte der Lieferant beiläufig und fügte hinzu, – ich denke, daß ihre medizinische Plänkelei bis dahin erledigt ist, die Typen sind gefragt. –
– Was wird hier gespielt? – Doktor Grund konnte nur schwer an sich halten.
– NH1 Objekte werden laut Satzung nur zeitbegrenzt ausgeliehen, damit ihnen keine Verpflegungsprobleme entstehen. Auf Wiedersehen in zwei Stunden! –
Der Mann verschwand ohne einen weiteren Kommentar.
– Komm rein, wir müssen uns beeilen. – Martin verschwendete keine Zeit, sich um den gelieferten NH1 zu kümmern sondern holte die Ratte mit wenigen Handgriffen wohlbehalten zurück.

Die Rückmeldung erlosch für einige Augenblicke, um sich kurz darauf erneut einzustellen.
Martin hämmerte in Zeitnot auf den Tasten herum, um die verschwindend geringen Reserven zu mobilisieren.
– So NH1, – wandte er sich an den Mann, – sie setzen sich bitte in die Kammer dort und lassen sich ein wenig berieseln von der Atmosphäre. Ich habe dann ein paar Fragen an sie. –
Der Ahnungslose tat, wie befohlen. Bestand doch für keinen von beiden der geringste Grund für Zweifel.
Die Rückmeldung kam diesmal unverzögert herein. Freudig erregt betätigte er den Auslöser. Mit dem Niederdrücken der Taste raste ihm der Gedanke durch den Kopf, daß die Energiefilter der Kuppel sein Funksignal gar nicht hätten direkt passieren lassen können, solange die Zentralantenne noch nicht eingeschaltet ist. Das Schweigen des Kommunikationsterminals verstärkte im Rhythmus seines Herzschlags die Angst. Sein Experiment war für den späten Nachmittag geplant und programmiert worden, wenn die Filter ihre Arbeit einstellen. Wie konnte er diesen wesentlichen Punkt vergessen. Schweißnaß hockte er vor dem Terminal und schien scheinbar zu schrumpfen.

Er war einer Ohnmacht nahe, als der Kommunikator anrief.
– Junge, was hast du für Monster auf Lager? Was soll das elende Riesentier oder Ding im Apparat. – Der Assistent wurde abwechselnd rot und blaß, er schrie förmlich aus Angst. – Holen Sie sofort das Ding zurück! Und warum dauert es so lange mittags eine Verbindung zu bekommen…
Professor Doktor Martin Grund wußte, daß er alle Gesetze übertreten hatte. Er hoffte auf eine göttliche Fügung und eine rettende Rückholung. Mit Zeitverzögerung traf das Rückmeldesignal der Mondbasis ein und er löste die Rücktransformierung aus.
Der Ehrenkodex ging ihm durch den Kopf. Die Herbeiführung des Todes eines Menschen ohne den Besitz der Lizenz, einen Menschen töten zu dürfen oder wenigstens der Lizenz NH4, die ein Experiment mit tödlichem Ausgang tolerieren läßt, wenn nicht fahrlässig gehandelt wurde, führt zum Ausschluß aus der Siedlerschaft und unter Umständen sogar zum Verlust von Elementarlizenzen, die einem Neugeborenen zugestanden werden. All seine Lizenzen gehen an die Nachkommen des Getöteten über. Martin wurde zunehmend übler. Als er die Kammer nach langem Zögern öffnete, übergab er sich und brach zusammen.

Der Kybernet entsorgte die kläglichen Reste des Experimentes und einer verkrachten Existenz, wie Martin Grund nun selbst eine war.

***

Die Urteilsverkündung war kurz und schmerzvoll.
Ihm blieben 12 Stunden, um die Siedlung zu verlassen, die er nie wieder betreten dürfte, ausgenommen er würde für ein Experiment bis Lizenz NH4 benötigt. Die Aberkennung aller Lizenzen und Rechte verbietet Martin Grund im Beisein von Siedlern einen Namen zu führen, da er ab sofort zur vogelfreien NULL-Kategorie zählte.

2.

– Doktor Brunner, die Außenstation meldete gerade eine Sonneneruption von unglaublichem Ausmaß.
– Und? , den Doktor schien diese Nachricht nicht zu verunsichern.
– Die Sonnensegel stehen voll aufgefaltet vor diesem Unwetter.
– Sie werden es bewältigen. Ich weiß es.
– Wir müssen den Menschen aus der Kapsel holen, bevor der Energieschwall auf die Segel trifft. Die Magnetfelder könnten sich überladen!, der Assistent wurde von Sekunde zu Sekunde unruhiger, was ganz im Gergensatz zu seinem Vorgesetzten stand, der sich dem Anflug ein flüchtiges Lächeln nicht verwehren konnte.
– Wir müssen gar nichts…
– Sagen wir ihm, daß es gleich etwas stürmisch wird?
– Nein.
– Aber Doktor…
РMich interessiert nicht der mentale Zustand des Mediums, sondern einzig und allein die k̦rperlichen Reaktionen. Daher werden wir ihn nicht beunruhigen.
– Doktor, wir wissen nicht…
– Herr Maler – der Doktor sprach betont langsam – was glauben sie, wozu ein Experiment da ist? Die ist die Größenordnung an Energie, die ich schon seit langem ersehnte. Bisher haben wir doch nur gespielt. Wir werden das Experiment jetzt aktivieren. Leiten sie alles nötige in die Wege!

Die Spulen summten. Die Kapsel bewegte sich langsam auf die der Sonne zugewandte zu. Martin Grund erkannte aus seinem winzigen Blickfenster fast nichts, da es aufgrund der direkten Sonneneinstrahlung abgeblendet war. Seit Wochen liefen diese Experimente. Ihm war versichert worden, daß die Versuche völlig simpel und gefahrlos waren. Für ihn bedeutete es nicht weniger, als daß er sich damit die Lebensberechtigung in einer Siedlung zurückverdiente. Aber er hätte nur sehr ungern mit seinem Leben gespielt.
Obwohl er noch nie längere Zeit der Schwerelosigkeit ausgesetzt gewesen war, weil er den Aufenthalt im All nicht so sehr mochte, gedachte er sich damit etwas zu läutern und den Tod seines Mediums vor sich selbst zu sühnen. Es lag ihm schwer auf der Seele, das Leben eines menschlichen Wesens auf dem Gewissen zu haben, das vielleicht auf die selbe Weise in diese verruchte Lage kam.
Nicht alle von „Draußen“ lebten schon immer dort. Verbannung aus einer Siedlung dürfte wohl die härteste Strafe sein, die einen treffen kann, der das Leben nicht kennt. Er hatte viel erleben müssen, was seine Einstellung gegenüber den Wesen von „Draußen“ änderte. Der Kampf um’s nackte Ãœberleben vernichtete die Vernunft, man verrohte – wurde zum Tier. Dieses Experiment war wohl seine Rettung. Lange hätte er das nicht mehr durchgestanden. Bestimmt deshalb fühlte er sich recht wohl.
Auch die hohen Beschleunigungen auf annähernde Sublichtgeschwindigkeit verursachten keine Probleme. Er würde der erste Mensch sein der mit so hoher Geschwindigkeit eine längere Strecke zurücklegte. Erst vorgestern waren die Spulenkörper so weit auseinandergebracht worden, daß der hohe Beschleunigungsfaktor letztlich auch eine hohe Geschwindigkeit erreichen ließ.
264 Tkm/h hatte er schon erreicht. Gut es war nicht sein Experiment, aber er war maßgeblich daran beteiligt, die Raumfahrt zu revolutionieren. Wenn er sich gut hielt, würde in absehbarer Zeit die sublichttemporäre Reise möglich. Nur das Bremsen vor der äußeren Feldbegrenzung durch Wirbelstrom wurde nunmehr so heftig, daß er sich manchmal übergeben mußte, wenn er den Eindruck bekam, von einem schweren Lkw überfahren zu werden. Was würde aber passieren, wenn man ihn nicht bremsen konnte? Verloren im tiefen Raum uneinholbar beschleunigt…
Er schüttelte den Kopf, um diesen unsinnigen Gedanken zu vertreiben. Er befand sich fast auf Ausgangsposition.
– Wie lange noch, Maler? , Dr. Brunner wurde nun doch unruhig. Es waren keine Skrupel, mehr die Ungewißheit des Neuen, dessen Zeuge er gleich werden würde.
РZwei Minuten. Noch k̦nnen wir die Segel falten und die Kapsel sichern.
– Maler! – Gunter Brunner schrie nun fast – Ich muß dieses Experiment durchführen. Sollte es ein Menschenleben kosten, kennen wir wenigstens unsere Grenzen. Was glauben sie, wie lange ich an dieser Revolution gearbeitet habe? – Er erwartete keine Antwort.
– Eine Minute und dreißig Sekunden. – Fahren sie die Spulen an! Verstärken sie das Bremsfeld! Verlängern sie es in den Raum, damit wir unser Medium nicht unter die Dampfwalze bringen!
– Wenn ich das Feld verlängere, wird es sich im Sonnensturm verzerren. Wie soll ich sicherstellen, daß es funktioniert?
– Lenken sie den ersten Aufprall auf die Segel in das Bremsfeld und erst dann auf die Beschleunigungsspule, dann polen sie das Feld um. Sonst läuft alles wie bisher. Die Kapsel, das verspreche ich ihnen, Maler, wird schneller sein als der Sonnensturm.
– Sie meinen wir werden Lichtgeschwindigkeit erreichen.
– Nein, sicher nicht, aber wir werden die Differenz dazu vernachlässigbar klein machen. – Dr. Brunner wußte instinktiv, daß der Menschheitstraum vom lichtschnellen Raumflug in greifbare Nähe rückte.
– Dreißig Sekunden…
– Gut, teilen sie dem Medium mit, daß wir eine höhere Beschleunigung testen. Und lassen sie sich nichts anmerken. – Brunner trat zu seinem Außenschirm. Er wußte nicht, was er zu sehen bekommen würde, aber er war sicher, daß es bisher noch nicht dagewesen sein würde.
– Das Medium ist informiert und völlig ruhig. Der Countdown: vier, drei, zwo, eins…
– Einschalten! – Der doktor klang nun wieder ganz ruhig, doch ihm brodelte es. Der Sonnensturm traf mit einer Wucht auf die Sonnensegel, daß diese durch mehrere zigtausendfache Ãœberladungen geschüttelt wurden. Das Summen der Spulen schwoll zu einem ohrenbetäubenden Donnern an. Die Magnetfelder waberten vor Kraft. Die Kapsel wurde in der Startspule einige Male um die eigene Achse gewirbelt, bevor sie sich mit einem schimmernden Wirbelstromschweif in Bewegung setzte oder besser aus der Spule gesprengt wurde.
– Unglaublich! – Brunner schrie voller Freude.
– Doktor? – Maler schien verunsichert und blickte erschreckt auf den Monitor des Meßrechners.
– Was ist, Maler?
– Die Kapsel…, sie ist weg. Das Lächeln erstarb plötzlich. Der Physiker stürzte zum Monitor.
– Was heißt weg? Ist sie nicht gebremst worden? Wurde sie in den Raum geschleudert?
– Nein, sie fliegt nicht im Raum, dort würde sie durch die Meßsonden geortet…, nein, sie ist weg.
– „Weg“ ist kein wissenschaftlicher Begriff… Was ist los?
– Ich weiß es nicht, Doktor!
– Analysieren sie die Meßwerte, ich brauche eine Antwort. Was machen die Ergebnisse des Mediums?
– Die Ãœbermittlung der Meßwerte brach nach Durchtritt des Bremsfeldes ab.
– Wann verschwand die Kapsel?
– Bei Durchtritt des Feldes…
– Die Daten kamen also noch an, nachdem die Kapsel gar nicht mehr existierte?
– Wenn man es so betrachtet, haben sie recht.

Martin Grunds Kapsel wurde mit einer Wucht ergriffen, diebis dahin niemals aufgtreten war. Er bereitete sich auf einen überwältigenden Bremsdruck vor, der erstaunlicherweise ausblieb. Statt dessen spürte er einen Schlag gegen die Kapsel, mit dem alle seine körperlichen Belastungen schlagartig verschwanden. Er spürte, daß etwas nicht in Ordnung war. Er meldete sich…, ihm, dem Medium fiel die überdimensionale Geschwindigkeit nicht mehr auf. Vor dem entblendeten Fenster verschwammen die Sterne, verschmolzen zu einem Kneuel, das wieder auseinanderplatzte. Dann sah alles wieder so aus wie vorher. Nur einem Profi wäre die veränderte Konstellation aufgefallen.
Am anderen Ende der Leitung rührte sich nichts. Hier ging etwas vor, was bis dahin noch nie geschehen war. Instinktiv erfaßte ihn eine Unruhe. Sein Multikom schwieg auf allen vereinbarten Kanälen. Nein es rauschte nicht, es schwieg. Unheimliche Stille. Kein Summen von Magnetfeldern, keine Geräusche irgendeiner Art. Er hörte sich nicht einmal atmen. Das mochte daran liegen, daß er vor Aufregung die Luft anhielt. Er ließ sie geräuschvoll entweichen. Nein, taub war er nicht. Das Multikom zeigte keine Pegel beim Durchstimmen.
Ihn durchströmte nun nicht mehr nur Unruhe…, es wurde panische Angst. Offenbar war passiert, was er schon von Anfang an befürchtete. Nun war er das Opfer eines mißglückten Experiments, wie damals sein Medium. Mit einem Unterschied – er war bei lebendigem Leibe begraben worden. Was sonst sollte L.I.S. – Lost In Space – bedeuten. Er malte sich sein dramatisches Ende aus. Ohne nenenswerte Nahrungsreserven in einer Kapsel, die sich nur von außen öffnen ließ. So konnte er seine Qualen nicht einmal durch den Vakuumtod umgehen. Das hatte er nun wirklich nicht verdient. Vielleicht traf er ja auf einen Raumkörper, der die Kapsel beim Aufprall in ihre Moleküle zerlegen würde. Ein schneller schmerzloser Tod war alles, was er sich noch wünschte.

– Maler! Was haben sie herausgefunden?
– Dr. Brunner stürzte in den Steuerraum herein.
– Was erwarten sie? Ich untersuchte bisher die Daten der Magnetfelder.
– Irgendetwas. – Brunner schien erstaunlich ruhig und gefaßt.
РIch verstehe nicht, wie sie so gelassen sein k̦nnen, Doktor. Wir haben einen Menschen auf dem Gewissen.
– Maler, ich bedauere dieses Ereignis genauso wie sie, aber zum einen ist meine Lizenz in Ordnung und zum anderen nehme ich an, daß unser Ergebnis ein Opfer wert war.
– Wie das?
– Ich habe gerade die Bildaufzeichnungen ausgewertet. Die Beschleunigung wurde vom Medium gut überstanden und eine Bremsphase hat es nicht gegeben. Dazu brauche ich ihre Daten. Unmittelbar nachdem die Kapsel verschwand – oder besser unserer visuellen Wahrnehmung entzogen wurde -, ging es dem Medium ebenfalls ausgezeichnet. Die Bildaufzeichnungen aus der Kapsel brachen erst eine Sekunde nach dem Verschwinden ab, Funkkontakt gab es da schon nicht mehr. Also, was haben sie, Maler?
– Das Magnetfeld der Startspule wurde gegenüber unseren Materialberechnungen um mehr als den Faktor 200 Millionen überladen.
– Die Spule konnte das doch gar nicht verkraften…
– Hat sie auch nicht. Schauen Sie! – Der Physiker blickte nun auch auf den Schirm, der für Diagramme, Meßwertanzeige, visuelle Auswertung und mathematische Schemata aufgeteilt war. Somit war eine zeitparallele Auswertung möglich. Der Schirm zeigte einen auflodernden Feuerball. Die Spule schmolz aber nicht etwa, sie bildete Plasmaringe, die ihre innere Energie auf die Kapsel übertrugen, indem sie um sie herum eine Beschleunigerspule bildeten, die sich mit der Kapsel eine zeitlang mitbewegte. Dies war die scheinbare Explosion. Mit der Abgabe ihrer Energie verloren sich die Ringe im Nichts. Die Spule war verschwunden. Der Sonnensturm tobte nun über den Bildschirm und erreichte die Bremsspule gleichzeitig mit der Kapsel. Er deformierte die Spule, die sich nun schon in Plasma verwandelt hatte und statt zu bremsen einen furchtbaren Anschub lieferte.
– Doktor, wissen sie was dies bedeuten muß?
– Es bedeutet, daß wir von ein mit annähernd Lichtgeschwindigkeit…
– Es fehlten nur noch Zehntel oder gar Hundertstel…
– Eben. Das Feld der Bremsspule existierte nicht mehr. Die Plasmaspule bewegte sich bereits mit der gleichen Geschwindigkeit, wie die Kapsel. Diese wurde nun von der Plasmaspule mit einer imensen Wucht in Flugrichtung davongeschleudert. Sie betrachteten die Bilder weiter beim Duchschlagen des magnetischen Pols der Plasmaspule wurde ein Lichtblitz erzeugt, der verglomm ohne eine Richtung anzudeuten in die sich die Kapsel fortbewegte. Sie war spurlos verschwunden.
– Maler, ich denke wir haben soeben ein Grenzexperiment des Einstein’schen Kontinuums gesehen.
– Sie meinen das Objekt ist nicht schneller als das Licht?
– Natürlich ist es das. Aber es befindet sich weiterhin im Einflußbereich der Relativität des Einsteinraumes.
– Woraus schließen sie das, Doktor?
– Ich schließe das aus der Bildübertragung aus der Kapsel, die erst nach Erreichen der Höchstgeschwindigkeit abbrach.
– Wie kommen sie darauf?
– Wissen Sie wie die Nachrichtenübermittlung in einem temporären Hyperraum funktionieren würde?
– Nein! , Maler starrte Dr. Brunner fassungslos an. – Woher…?
Der Doktor unterbrach ihn mit einer fahrigen Handbewegung.
– Ich weiß es auch nicht. Aber eines weiß ich ganz sicher… – er genoß seine Ãœberlegenheit – es wird keinen Funkkontakt auf einer uns bisher bekannten Art und Weise geben, da die Laufzeit der Signale dies verhindern würde.
– Ich verstehe trotzdem nicht…
– Nun, mein lieber Maler, unser Medium wurde ein Opfer der Zeitdilatation. In dem Augenblick des Durchdringens der Plasmaspule durchlief das Objekt eine weitere Beschleunigungsphase, es entzog sich unserer visuellen Wahrnehmung, weil es relativ zu uns schneller ist als das Licht. Das Objekt selbst durchläuft nun aber eine Zeitdehnung. Innerhalb des Objektesvergeht die Zeit erheblich langsamer als hier. Der Zeitraum des Durchdringens der Plasmaspule wurde in der Bildübertragung auf eine Sekunde gedehnt, während wir hier nur Bruchteile einer Sekunde wahrnahmen.
– Aber er lebt?
– Ich nehme es an. Ich weiß es ganz sicher. Sublichtschnelles Reisen wird bald zu den gängigen Möglichkeiten gehören. Wir haben es geschafft. – Sein Lächeln kehrte zurück. Zufriedenheit über das Erreichte prägte seine Stimmung und verdrängte die Trauer um den Verschollenen.

3.

Keiner seiner Wünsche wurde erhört.
Martin Grund trieb durch Raum und Zeit ohne auch nur ein Partikel zu sehen, das die Chance gehabt hätte, sein minimalistisches Gefängnis zu pulverisieren. Kein Laut, kein Traum, nichts. Nur der nackte, ungetrübte Wahnsinn, der sich in seinen Augen widerspiegelte.
Liebend gern wollte er wieder mit seinem Leben Draußen tauschen… oder auch nicht. Wo blieb nur der Tod?
-Wenn man ihn braucht ist er nicht da! Martin dachte laut, um selbst wenigstens etwas zu hören.
Sein letzter kläglicher Proviantvorrat war erschöpft. Dies hiess, ohne Wasser würde er vielleicht noch zwei bis drei Tage überleben, währenddessen er langsam austrocknete.

Stunden um Stunden vergingen. Eigentlich hätte er müde sein müssen. Sein Magen knurrte, der Mund war trocken. Nein, er wollte wach sein, wenn der Höhepunkt seines Lebens, nämlich dessen Ende kam. Wie langweilig, einfach im Schlaf ins Vakuum gesaugt zu werden, ohne noch einmal Piep sagen zu können. Er würde standhaft und natürlich wach bleiben.
Völlig eintönig standen die Sterne um ihn herum und glotzten ihn dümmlich an. Das Bullauge als Fenster zur Welt.
Er war kein Astronom, hätte also beim besten Willen nicht feststellen können, wo genau er sich befand – oder wann.

Nach einigen Stunden erwachte er durch das laute Knacken seiner erstarrten Gelenke. Es gab ihn noch immer. Martin Grund hatte traumlos geschlafen, nachdem die körperliche Erschöpfung stärker geworden war als er. Sein Hunger begann seinen Unterleib nahezu auszufüllen. Aber dies war nur ein Klacks gegen den Durst, der ihn von Minute zu Minute dem Delirium näher brachte.
Seine Kehle erzeugte nur noch widerwillig Geräusche, die nichteinmal er selbst für Sprache hätte halten können.

Er blickte sich langsam in seiner Kapsel um, suchte etwas, mit dem er seine Qual beenden konnte. Jede Bewegung schmerzte entsetzlich. Es fühlte sich an, als wäre er mit dem Sitz förmlich verwachsen.
Nach Minuten schmerzerfüllter Regsamkeit kniete er nun vor dem Sitz. Viel Raum bot die Kapsel nun nicht mehr. Es gelang ihm schliesslich, sich mit zusammengebissenen Zähnen umzudrehen und einen Entriegelungsmechanismus unter dem Sitz zu erreichen. Dieser klappte nun über ihn und engte seine ohnehin bescheidene Bewegungsfreiheit noch mehr ein.
Tatsächlich. Warum war er nicht früher darauf gekommen… Vor sich sah er drei Ventile, von denen sich eines nicht bewegen ließ.
Die beiden anderen schienen offen zu sein. Vermutlich handelte es sich dabei um die Klimaanlage und den Sauerstoff, der… der auch nicht ewig reichen würde. Ganz zu schweigen von der Akku-Energie in den Brennstoffzellen an der Rückwand.
Welches Ereignis würde ihn nun hinwegraffen? Sauerstoffmangel? Kälte? Hunger oder Durst?
Martin hoffte inständig, daß er diese Frage zu seinen Gunsten gegen Hunger und Durst entscheiden würde und schloß beide Ventile.
Dann klappte er den Sitz zurück, sodaß dieser hörbar einklickte und ertrug tapfer alle Schmerzen, bis er wieder bequem saß.
Nun mochte der Tod kommen. Er würde ersticken oder erfrieren, beides war ihm gleichwohl lieber als Vertrocknen.
Es wurde innerhalb weniger Minuten merklich kühler. Martin Grund fühlte sich erfrischt und zugleich schläfrig. Offenbar wirkte auch bereits der Sauerstoffentzug. Er lehnte sich genießerisch zurück.
– So lieber Tod, diese Runde geht an mich… Und diese ist entscheidend!
Er versuchte Worte zu formen, während seine Lippen unter seinem diabolischen Grinsen aufsprangen.
– Meine Schmerzen sind mein Spottvers auf deine Machtlosigkeit.

Eine Stunde später stellte er verblüfft fest, daß seine Müdigkeit nachließ. Er lauschte in die Dunkelheit. Ein sanftes, zischendes Geräusch verriet ihm, daß es scheinbar einen Schutzmechanismus gab, der die Sauerstoffzufuhr wieder aktiviert hatte.
– Zum Teufel damit. Wie lange wollt ihr mich denn noch quälen?, sein Schrei versiegte in einem Krächzen.
Wieso hatte er das Zischen nicht schon früher einmal gehört. So intensiv er auch immer gelauscht hatte, konnte er doch nie etwas vernehmen.
Die Versorgung paßte sich offenbar dem Bedarf an. Die Temperatur sank weiter. Martin schätzte sie auf etwa 20 bis 30 Grad unter dem Gefrierpunkt. Die trockene Kälte erschwerte eine genauere Bestimmung.
Nunmehr zog sie sich aber bereits durch alle Gelenke, wodurch er sich außerstande sah, die Tortur des Ventilspielchens noch einmal zu wiederholen.
Das Schicksal hatte sich entschieden… Er, Martin Grund, Wissenschaftler, Mörder und erster Mann schneller als das Licht, er würde schlicht erfrieren.
Punkt, aus, Ende.

Sein Atem beschlug sein Gesicht mit Raureif. Würde er noch Energie in sich tragen, müßte er wahrscheinlich zittern. Doch eine solche, unwesentliche Reaktion war ihm und seinem Körper mittlerweile vollkommen gleichgültig. Fernab jeder Bewegungsmöglichkeit vernahm er ein unterschwelliges Summen. Minimale Vibrationen durchzogen seinen Sitz.
Sollte es wirklich sein, wofür er es hielt… Ein Servomotor machte sich an einem Ventil zu schaffen, das sich offenbar nicht so ganz dem mechanischen Willen beugen wollte. Das dritte Ventil. Es war geschlossen, als er daran zu drehen versuchte.
Was stand auf dem Schild?
– Was zum Henker stand auf dem Schild?
Sein Gedanke hallte so laut in seinem Hirn wieder, daß er ihn fast zu hören glaubte. Aber seine Sinne liefen auf Sparflamme. Gab es überhaupt ein Schild? Warum sollte es überall Schilder geben, wenn ohnehin kein Hanswurst, wie er, an den Hebeln spielen darf.
Das Summen erklang nun nachdrücklicher, sodaß sein Sitz zu erbeben schien.
Sanft anschwellendes Zischen ließ Martin an den Erfolg des Motors glauben. Was er in seiner mißlichen Position nicht geschafft hatte, würde ein kleiner zarter Allerwelts-Motor einfach so bewerkstelligen. Hochachtung Servotechnik.

Ein heftiger Stoß brachte Martin noch einmal kurz zu Bewußtsein. Die Temperatur lag nun bereits um die 70 bis 80 Grad unter Null. Seine zugefrorenen Augen zwangen ihn, sich mit allerletzter Kraft auf seine Ohren und deren Wahrnehmungen zu stützen.
Ein zweiter Ruck unter seinem Sitz und aus dem flüsternden Zischeln wurde das tosende Fauchen eines geplatzten Gastanks.
Die unmittelbar darauf folgende Taubheit seiner Glieder ließ ihn noch einmal glücklich erschauern. Sein Tod war endlich gekommen und er war live dabei. Bevor die Erstarrung seinen Kopf erreichte spürte er noch einmal die eisige Hand des Todes. Das Gas zischte an seinem Gesicht vorbei. Seine ausgetrockneten und aufgeplatzten Nasenschleimhäute ließen nur noch eine Ahnung von Geruch durchdringen.
Kalt, kälter, das Ende. .
Er triumphierte noch einmal in Gedanken. Ja es gab ein Schild am dritten Ventil…

Sein Ende hieß „Kryogas“.