Eine neue Welt 1

Das verhaltene Piepsen und klicken wirkte eher einschläfernd. Vermutlich hatte er auch schon ein Nickerchen hinter sich, denn er vermochte sich nicht an alle Einzelheiten der letzten Stunden zu erinnern.
Wäre nicht das nervige, rote Blinken, würde er noch nicht einmal glauben, dass es jene Ereignisse gegeben hatte. Doch der bedenklich in den gelben Bereich gesunkene Sauerstoffanzeiger ließ keinen Zweifel daran, dass er sein Hiersein einer Laune des Schicksals verdankte. Glück im Unglück.
Sein Schiff war vor etwa einer Stunde in den Orbit der unter ihm liegenden M-Welt eingeschwenkt, wie man in Pilotenkreisen die Welten nannte, die der historisch verbürgten Quelle der Menschheit – der Erde – so ähnlich waren, dass sich Leben von selbst entwickelte oder schon seinerzeit im Verlaufe des Exodus ansiedelte.
Er kannte die Welt nicht, denn er hatte seinem Computer die Navigationsentscheidung überlassen, während er sich um Schadensbegrenzung bemühte. Die Hülle seines Schiffes zeigte an mehreren Stellen Instabilitäten. Der Sauerstoffverlust ging auf ein nicht mehr zu stopfendes Leck zurück.
Mit austretendem Sauerstoff wollte er allerdings keine Landung wagen. Dann hätte er sich auch gleich von den Jurmala schrotten lassen können.

Die Jurmala sind ein stolzes, nomadisierendes Kriegervolk. Für gewöhnlich begegnete man ihnen nicht. Drum behaupteten auch die meisten Flieger, dass sie lediglich ein Hirngespinst seien. Er wusste es besser. Seit heute. Oder gestern.
Jurmala. Wenn ein Vertreter dieses Volkes den Namen aussprach, klang dies definitiv anders. Da aber die Wenigsten, die ihn zu hören bekamen noch darüber berichten konnten, blieb es irgendwann bei dieser Lautsprache. Er kannte noch einige andere Ausspracheweisen. Jurmala, Jarmul, Jurpala, Jipala, Chipala, Ripala, Reaper…
Die Jurmala nahmen, was sie bekamen. Sie lebten von der gemachten Beute, enterten Großtransporte, um an Lebensmittel und Bauteile zur Reparatur oder Aufrüstung ihrer Schiffe zu gelangen. Sie überfielen Agrarwelten, die sich nicht zu wehren wussten. Manchmal gaben sie sich als Götter aus oder nutzten den ihnen entgegen gebrachten Respekt für die Plünderung der planetaren Lager.
Auf Industriewelten wurden sie jedoch bisher nie gesehen. Offenbar wussten sie, dass jene meist gut verteidigte Stellungen besaßen.

Deren beliebtester Trick war es mit einer ihm unbekannten Technologie Schiffe aus dem Hyperraum zu reißen. Hatten diese keine Hyperraumtor-Generatoren an Bord, waren sie den Angreifern für gewöhnlich unterlegen und bezahlten dies mit ihrem Leben.
Alle ihm bekannten Aktionen mit dem Ziel, Jurmala aufzuspüren und zu eliminieren waren gescheitert. Entweder fand man sie nicht oder die Strafexpeditionen kehrten gar nicht erst zurück. Man nahm weithin an, dass Jurmala kannibalisch lebten, wenn sie denn überhaupt von Menschen abstammten.
Die Jurmala waren schlicht das Schreckgespenst der Cybaeanischen Galaxie.

Es war nur der exorbitant guten Bewaffnung seines Schiffes, seiner Kampfkenntnisse als Mitglied der Martian-Fraktion, dem notwendigen Glück und nicht zuletzt der hoffnungslosen Unterlegenheit der drei gegnerischen Jäger zu verdanken, dass er sich jetzt und hier überhaupt Sorgen um sein Überleben bei einem Landeversuch machen konnte.
Taktisch waren die Jurmala auf höchstem Niveau. Trotz massiver Überlegenheit in seiner Angriffsstärke hatte er mehr Treffer einstecken müssen, als für ein Schiff dieser Größe gut war.

Die Zerberus-Klasse bot einiges, steckte viel weg und teilte ordentlich aus. Leider war es auch schon das größte Raumschiff, das man als Einzelperson fliegen konnte. Er flog schon seit Monaten nicht mehr mit Crew. Heute hätte er seine ehemaligen Waffenoffiziere jedoch ganz gut brauchen können.
Nachteil der fehlenden Crew waren Ausfälle einzelner Waffen oder ganzer Systeme, da er unterwegs nur bedingt Wartung und Reparatur betreiben konnte. Nunja, das machte regelmäßige Reparaturen notwendig, für die er wiederum gut vorgesorgt hatte.

Wie dem auch sei… Um eine Landegenehmigung zu erhalten, musste er nun das Grußsignal aktivieren. Für gewöhnlich flogen Martianer ohne ein solches. Konnte man ja gleich in den Betrieb reinrufen, ob jemand zum Bestehlen anwesend sei. Er schmunzelte innerlich bei diesem, seinem Vergleich.
„Mike, Alpha, Zulu, Foxtrott, 09931 erbittet Landeerlaubnis zu Reparaturzwecken. Kommen!“
Nach einigem, statischen Knistern folgte die erwartete Antwort: „MAZF009931, nutzen Sie den bereit gestellten Korridor zum Weiterflug zu einer martianischen Welt. Bei ‚Shingan‘ handelt es sich um einen taradorischen Planeten, auf dem wir Ihnen in keiner Weise behilflich sein können. Kommen!“
Beim Mars! Taradori bildeten eine Händlerfraktion. Nun gut, Martianer waren nirgends wirklich gern gesehen, doch er würde mit diesem Schiff keine martianische Welt mehr erreichen, ohne vorher zu ersticken. Er verfluchte dass der Computer ausgerechnet eine Welt ausgewählt hat, auf der es ihm auch noch teuer zu stehen kommen würde, falls sie ihn überhaupt landen ließen. Mitleid mit ihrem „natürlichen Fressfeind“ kannten Taradori für gewöhnlich auch nicht.
„Mein Schiff hat einen roten Riskostatus erreicht, der keinen Weiterflug mehr gestattet. MAZF009931 erbittet Landeerlaubnis zu Reparaturzwecken. Bitte scannen Sie mein energetisches Niveau und meine Schadensbilanz. Die Lebenserhaltung versagt innerhalb von drei Stunden. Ich öffne Ihnen sogar meine gesamte Datenbank, wenn Sie mich nicht in Ihrem Orbit verrecken lassen. Kommen!“
„MAZF009931, benennen Sie Namen, Vornamen, Dienstgrad und übermitteln Sie uns den Aktivierungscode Ihrer Selbstzerstörung. Kommen!“
Beim Mars! Die Jungs waren auf Zack. Täuschen könnte er sie nicht, denn sie würden den Code zweifellos testen. Seine selbst geschriebenen Subroutinen würden eine fremdausgelöste Selbstzerstörung zwar letztlich verhindern aber irritierend wirkte es dennoch, mit dem Lärm im Ohr dem schmalen Landekorridor zu folgen und den richtigen, zugewiesenen Slot am Boden zu erreichen.
„Hier MAZF009931, Stenyard Brin, Captain, ich schalte Ihnen das Landeinterface frei. Bringen Sie mich selbst runter, wenn es sein muss. Es ist genug Treibstoff für eine Gleitlandung an Bord. Überhitzung der Hülle sollte vermieden werden, da ich nicht weiß, wo der Sauerstoff austritt. Kommen!“
„MAZF009931, Captain Stenyard, lassen sie den verbleibenden Sauerstoff ab und benutzen Sie den Raumanzug zur Überbrückung. Dieser sollte mit Standardtank eine Laufzeit von mindestens einer Stunde haben. Wir übernehmen Ihr Schiff.
Greifen Sie in den Landevorgang ein oder laden ihren Schild, werden wir Ihre Selbstzerstörung aktivieren und sie über dem Ozean detonieren lassen. Verlassen Sie den Landekorridor oder aktivieren Ihre Waffensysteme, werden Ihre erfassten Koordinaten unter Feuer genommen. Verlassen Sie während der Reparaturarbeiten das Werftgelände, werden wir sie bis zum Abschluss der Reparaturen arrestieren.
Geben Sie jetzt die Steuerung frei und weisen Sie der Bank von Shingan 2,5 Millionen Credits als Reparaturkosten und Kaution auf Kontonummer 253474850 an. Sobald wir die Buchung sehen, übernehmen wir die Steuerung und geleiten Sie zur Werft der regierenden Kooperation. Over!“

Na gut, 2,5 Millionen sind keine Kleinigkeit. Aber er hatte mit einer vergleichbaren Summe gerechnet. Für Notfälle flogen immer Schuldverschreibungen im Wert von 5 oder manchmal auch 10 Millionen Credits mit. Er musste nun lediglich einen Transfer auslösen, ohne über Relaisstationen zu gehen. Sein Subraum-Kommunikationssystem war noch nicht wieder online.
Es mochte nicht ganz so einfach sein, doch nach einer reichlichen halben Stunde lag dem Captain eine Bestätigung der Bank von Shingan über den Empfang der geforderten Summe vor. Er schloss das Visier des Helms und ließ den im Schiffstank verbliebenen Sauerstoff ab, während sein Schiff, wie von Geisterhand gesteuert, die Umlaufbahn verließ und auf Shingans Oberfläche und damit seiner Rettung entgegen strebte.
Captain Stenyard sinnierte über die Umstände, die ihn zu einem Martian und den Sprecher des Tower einst zum Taradori werden ließen.
Es war nichts Genetisches, keine Frage der Ausbildung und selten eine Frage der Fraktionszugehörigkeit seines Mentors.
Was machte einem zum Martian, zum Krieger des Mars?
Was machte einen zum Taradori, einem Wirtschaftsmagnaten?
Was machte einen zum Skolari, einem der abgehobenen und abgedrehten Denker?

Nun gut, bei den Skolari war es klar. Ein bisschen mehr Intelligenz als beim Rest des Universums und man war gebrandmarkt. Die neuesten Entwicklungen kamen aus deren Denkerstuben wie bei den Taradori Module vom Band liefen. Den Martian stand es meist gut zu Gesicht, mit mindestens einem Skolari vertraut zu sein und von dessen Erfindungsgeist zu profitieren. Skolari kannten kein Gewissen. Ethische Bedenken mussten sie vor Generationen abgestreift haben. Sie handelten mit ihren Erfindungen, ließen jeden in den Genuss bester Waffen kommen, der genug dafür zahlte.
Doch nicht nur dies. Einzelne Kohorta Scolariae befassten sich mit genetischen Experimenten. So waren die Skolari die ersten und bislang einzigen Lieferanten von brauchbaren Robotern, Cyborgs, Androiden, Klonen und nicht zuletzt Nanniten.
Ohne Robotik und Nanotechnologie könnte Brin sein Schiff nicht allein fliegen. Alle Basisfunktionen des Schiffes waren automatisiert, Nanniten reparierten auf molekularer Ebene die Hülle und wandelten leblose Materie in lebende und vor allem genießbare. Ein Mensch lebt nicht allein von Luft und Liebe.

Größere, martianische Flotten quollen über vor Crew. Liefen solche beeindruckenden Flotten auf einer martianischen Welt ein, stürmten meist einige Tausend Crewmitglieder die örtlichen Etablissements und ihnen rannen Genussmittel palettenweise durch die Hände.
Brin schmunzelte. Auch er wusste ein gutes Derogwanisches Ale oder das Anirulische Gewürzbier zu schätzen. Oder auch das Auge Odins, ein alkoholisches Starkgetränk, bei dem man tatsächlich die Sehkraft einbüßen konnte, wenn man an die falsche Destille geriet. An die Qualität der vergorenen Trauben von Blue Satra kam allerdings nichts heran. Zu schade, dass die Abbaugebiete dort langsam veröden und überhaupt nur noch wenig frische Ware aus dieser Gegend zu bekommen war.
Nein, er konnte sich vieles davon nur leisten, wenn seine Auftraggeber es als Bezahlung anboten. Die Taradori hatten ihn ausschließlich aufgrund seines Status als Freischaffender landen lassen. Ein Martianisches Kriegsschiff mit größerer Besatzung wäre von ihnen aus ihrem Orbit komplimentiert worden, falls sie es denn hätten orten können. Sein Schiff war ja bis zum Senden des Grußsignals auch unentdeckt geblieben. Nur bei ihm war es eine die Scanner irritierende Spezialhülle, kein teurer, taktischer Tarnschild.
Egal. Er war stolz auf seine Freiheit. Frei von Zwängen. Frei von Befehlsketten. Aber auch frei von Rückendeckung gegen die Jurmala. Der Kreis seiner Gedanken schloss sich, während die nun gezündeten Bremsdüsen auch die letzte Phase der Landung anzeigten.

Der Kommunikator knackte, dann hörte er die vertraute Stimme: „MAZF009931, bitte kommen!“
„Hier MAZF009931, ich höre.“
„MAZF009931, Captain Stenyard, verbleiben Sie bitte an Bord, bis eine Delegation der Werft sich zur Inspektion meldet. Ich wiederhole: Verlassen Sie das Schiff nicht. Kommen!“
„Ich verstehe, Tower, an Bord bleiben und auf Anweisungen warten. Keine Schilde, Waffen, Scanner oder andere Systeme aktivieren. Kommen!“
„MAZF009931, wir sind erfreut über Ihre Kenntnis unserer Vorgaben. Over!“

Ja, klar. Erfreut. Er würde nun zu spüren bekommen, dass er trotz der üppigen Vorabzahlung die niedrigste Priorität in der Werft genoss. Sollte er ein Bordsystem aktivieren, dass Wirkung nach außen haben könnte, würden sie das Schott über ihm schließen und das Schiff kontrolliert sprengen.
Naja, noch konnte er es sich gut gehen lassen. Die ehemaligen Mannschaftsquartiere waren zu Munitionsdepots, Lager- und Aufenthaltsräumen umgebaut worden. Er hatte Platz. So konnte er sich zum Verhandeln mit Auftraggebern immer in den Salon zurückziehen, der für Gelage und Orgien wie geschaffen war. So etwas besaßen nur wenige Schiffe dieser Klasse. Wäre wirklich schade drum gewesen.
Dafür waren einige Köpfe gerollt. Er schmunzelte schon wieder. Klang doch gut.
Brin Stenyard, freiberuflicher Kopfgeldjäger und Söldner.

Eine neue Welt 2

Seinen anders lautenden Erwartungen zum Trotz meldete sich das Interkom vom Außenschott schon nach einer halben Stunde. Ein Konsul der planetaren Regierung und ein diplomatischer Vertreter einer anderen Fraktion baten um eine Unterredung.
Das war neu. Brin hatte dergleichen noch auf keiner Welt erlebt, die Martians als feindlich einstufen. Verwechselten sie seine Kooperationsbereitschaft im vorliegenden Einzelfall mit einem Freundschaftsangebot. Dann würde er sie enttäuschen müssen.
„Captain Stenyard?“ fragte eine leicht nasal klingende Frauenstimme über das Intercom.
„Ja, bitte, treten Sie ein!“ sagte Stenyard. „Sie finden mich im Salon. Er befindet sich direkt gegenüber der Hauptschleuse und ist nicht zu verfehlen.“

Die Tür glitt summend auf und die Gäste betraten mit vorsichtigen Bewegungen das Schiff. Der Salon war in der Tat leicht zu finden und erinnerte in seiner Ausstattung an einen römischen Wohnraum. Kissen, ein niedriger, großer Tisch. Groß aufgetafelt hatte ihr Gastgeber allerdings nicht.
„Ich hätte Ihnen gern etwas angeboten, Miss…?“ sagte Stenyard.
„Konsul Lana Geser.“ Korrigierte ihn sein Gast.
„Miss Geser. Es ist mir eine Freude, sie kennenzulernen. Wie ich schon sagte, ich hätte ihnen gern etwas angeboten, doch es ist mir versagt worden…“
Konsul Geser machte eine wegwerfende Handbewegung: „Verschwenden wir keine Zeit mit falscher Höflichkeit, Captain Stenyard.“
Sie kam direkt zur Sache. Das gefiel ihm. Er lehnte sich auf dem flachen Diwan wieder zurück, schlug die Beine übereinander und bedachte die Konsulin mit einem interessierten Blick. Zumindest hoffte er, dass sein Gegenüber diesen Blick so interpretieren würde.
„Ok, Konsul, dann direkt zum Geschäftlichen. Wer ist ihr hoffnungslos gelangweilter Begleiter?“
Nicht einmal diese direkt beleidigende Bezeichnung nötigte den untersetzten, kahlköpfigen Mann zu einer Gemütsregung. Der durch und durch gelangweilte Blick ins Leere blieb. Diese ganze Erscheinung konnte nur eines bedeuten…
„Captain Stenyard, mein Begleiter ist Prof. Dr. Kora, diplomatischer Abgesandter der…“
„Skolari.“ Unterbrach sie Stenyard lächelnd. „Niemand sonst kann mein Schiff derart gefühlsneutral betrachten.“ Brins Grinsen wuchs.
„Ja, Captain, von den Skolari.“ Konsul Geser lächelte nicht. Zu schade, dachte Stenyard.
„Mr. Stenyard, Captain, wir bitten Sie, unser Angebot wohl zu überlegen. Wir nähmen es Ihnen nicht übel, falls sie ablehnten, es könnte sich allerdings rein theoretisch negativ auf die Liegedauer Ihres Schiffes auswirken.“
„Liebste Lana, ich habe mich schon auf eine so lange Liegezeit eingerichtet, dass ich womöglich Ihrer Unterstützung gar nicht mehr bedarf. Dann schaffen es meine Nanniten auch alleine. Was glauben Sie, mir anbieten zu können, was mein Interesse an einer Zusammenarbeit wecken könnte?“ sagte der Captain.
Konsul Geser antwortete ohne auf den verbalen Angriff einzugehen: „Wir bieten Ihnen einen Freibrief für 20 taradorische Welten.“
Stenyard schluckte, lehnte sich nach vorn und stützte seine Ellebogen auf seine Knie.
„Verstehe ich Sie richtig, Konsul Geser? Sie verraten und verkaufen 20 taradorische Welten an mich? Plündern, brandschatzen und zerstören? Einen Freibrief?“
Lana Geser lächelte. „Ja, im Prinzip ist das richtig.“ Sie genoss die Verblüffung ihres Gegenübers.
„OK, wo ist der Haken, Konsul?“ fragte Brin.
„Natürlich liefern wir unsere Welten nicht willkürlich Piraten aus, ohne eine Gegenleistung zu verlangen, die dies unmöglich machte.“ Sagte Geser und fuhr fort: „Da wir Sie aber nicht als einen Piraten sondern vielmehr als Söldner betrachten, gehen wir davon aus, dass Sie und ihr Schiff käuflich sind. Und unser Angebot liegt auf dem Tisch. Doch dies ist nicht alles…“
„Oh, es geht noch weiter? Einen Freibrief für einen Martian und noch einen Bonus oben drauf? Ihr seid wahrlich ein Ausbund an Großzügigkeit. Den Haken hätte ich gern erfahren, Frau Konsul.“
„Captain, ich komme gleich zu unserer bescheidenen Bitte…“
Brin holte Luft, um Lana Geser erneut in die Parade zu fahren und ihr an den Kopf zu werfen, dass ihre Bitte beim vorliegenden Angebot kaum sehr bescheiden sein könne. Sie hob nur die Hand und sprach unbeeindruckt weiter: „Die Skolari…“ Sie wies auf ihren noch immer völlig regungslosen Begleiter. „…unterbreiten ihrerseits ebenfalls ein Angebot, da sie sich am Plan zu beteiligen gedenken.“
Dr. Kora sah Brin direkt in die Augen. Er blinzelte nicht und wirkte starr.
„Lieber Captain Stenyard!“ sagte Dr. Kora in einem bezeichnend gelangweilten Tonfall, der keinerlei Gemütsregungen erkennen ließ. „Sie versuchen mich und meine Gefühlswelt seit einigen Minuten zu ergründen. Das kann Ihnen nicht gelingen, Mr. Stenyard, denn ich besitze keine Gefühle. Ich gehöre zur diplomatischen Modellreihe 34.“
Der Captain schluckte. Bisher hatte er noch nie persönlich mit Androiden zu tun gehabt. Brin machte eine lässige, kreisende Handbewegung, die den Androiden zum Weitersprechen veranlassen sollte. Dies tat er.
„Captain, menschliche Wesen können vor mir keine Geheimnisse haben. Ich dachte mir, dass Sie bislang nicht mit Meinesgleichen zu tun hatten und verstehe Ihre Überraschung. Dessen ungeachtet möchte ich Ihnen das offizielle Angebot der Skolari übermitteln.
Die Skolari bieten Ihnen im Gegenzug für Ihre im Nachgang von Konsul Geser zu definierende Beteiligung am taradorischen Plan die Ausstattung Ihres Schiffes mit der aktuellsten, uns zur Verfügung stehenden Hard- und Software, eine Auffrischung der Nannitenpopulation an Bord Ihres Schiffes und einen Freibrief für den Erwerb jeglicher skolarischer Technologie innerhalb der kommenden 2 Jahre.“

Captain Stenyard stand der Mund offen, während er verständnislos, langsam den Kopf schüttelte. Was konnte eine solche Stange Geldes wert sein. Für einen solchen Gegenwert hätte er Großeltern, Eltern und Kinder verkauft und die halbe Galaxis entvölkert. Nunja, nicht wirklich. Schließlich besaß er Ehrgefühl. Doch seine Loyalität war käuflich. Nein, eigentlich auch nicht. Er war nur sich selbst treu.
Stenyard lehnte sich erneut zurück, sah zuerst den Androiden, dann Konsul Geser an, atmete tief durch und sagte: „Nichts was ich in diesem Universum leisten könnte, ist eine solche Gegenleistung Ihrerseits wert. Wo, liebe Lana, wo ist der verdammte Haken?“
Konsul Geser lächelte noch immer und sagte: „Brauchen Sie Bedenkzeit?“
Brin lachte laut auf. „Verdammt, nein, die brauch ich nicht. Ich kann nur ablehnen, denn ich kenne keine, ehrenvolle Aufgabe für einen Martian, die Ihr Angebot auch nur andeutungsweise aufwiegen kann. Und da ich Ihren Preis nun kenne, würde ich mich auch nie mit weniger zufrieden geben.“
Konsul Geser setzte einen Blick auf, der alles und nichts bedeuten konnte. Sie erhob sich. Dr. Kora folgte ihrem Beispiel. „Captain Stenyard, ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft. Darf ich davon ausgehen, dass Sie als Gegenleistung auch nicht mehr fordern wollen?“
„Beim Mars, Konsul, ihr Gebot ist schon zu hoch. Ich wünsche Ihnen Glück dabei, einen anderen für den Job zu finden.“ Stenyard hielt ihr seine Hand hin. Konsul Geser blickte nur kurz nach jener, deutete eine Verbeugung an, die mehr im Blickkontakt als physisch erfolgte. Dem Androiden reichte er seine Hand nicht. Skolari verabscheuten Körperkontakt. Seine höfliche Verbeugung erwiderte der Android in gleicher Weise.
„Captain Stenyard, ich bin sicher wir werden uns wiedersehen und voneinander hören.“, sagte Lana Geser.
„Nun, Lana, falls ihr nicht vorhaben solltet, mich alternativ hier auszuhungern oder wochenlang auf eine Reparatur warten zu lassen, bezweifele ich das sehr.“, antwortete Brin.
„Nichts dergleichen, Captain. Die Reparaturarbeiten beginnen, sobald unser Flaggschiff aus dem Dock ist.“, sagte Geser. „Wollen Sie es eventuell besichtigen?“
„Lana!“, sagte Stenyard, „Ich kann sie tatsächlich nicht durchschauen. Martian und Taradori haben für gewöhnlich nichts, was sie freiwillig miteinander teilen würden. Was soll dieses verdammte Schmierentheater?“ Stenyard wurde ungehalten.
Lana Geser erhielt ihr unnahbares, geheimnisvolles Lächeln aufrecht und sagte: „Captain, Brin, Glaube versetzt Berge. Wir glauben an die Prophezeiung. Uns ist bewusst, dass sie uns viel abverlangen und kosten wird. Und wir wissen, dass wir denjenigen gefunden haben, der uns in dieser Prophezeiung versprochen wurde. Sie wissen es nur noch nicht, Captain. Gute Nacht, Brin Stenyard, Krieger des Mars.“
Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ den Salon samt dem Androiden zwei Schritt hinter ihr. Als Brin Luft holte, um ihr noch eine Frage zur Prophezeiung hinterher zu schicken, hob sie nur den Arm mit der flachen Hand und deutete ein Winken an.
Nunja. Das hieß zweifellos ‚Auf Wiedersehen‘. Ja, sie würden sich wiedersehen. Nicht unbedingt, weil er es wollte. Ja, Lana Geser war eine attraktive Frau, deren Gesellschaft er sicherlich genießen würde. Der Schatten eines lüsternen Grinsens huschte über sein Gesicht. Und sie würde zu ihm kommen. Zu dumm, dass er keinen Sonderpreis ausgehandelt hatte. Egal, diese Chance bestand noch immer. Das Grinsen kehrte zurück und fühlte sich in Stenyards Gesicht offenbar eine Zeitlang wohl. Eine lange Zeit lang.

Eine neue Welt 3

Brin wälzte sich in seiner Koje herum und versuchte vergeblich, Schlaf zu finden. Sein Hirn arbeitete unermüdlich. Nach einigen Stunden, in denen er gelangweilt den Wechsel der Ziffern auf seiner Borduhr beobachtete, entschloss er sich schließlich, sich an seinen Schreibtisch zu setzen.
Er nahm einen Zettel vor und notierte die Informationen, die er im Gespräch mit der Konsulin und dem eher schweigsamen Dr. Kora erhalten hatte aber nicht einzuordnen vermochte.
Er erhielt ein unvergleichlich großzügiges Angebot einer Söldnerentlohnung. Nein, ein nie dagewesen großzügiges Angebot. Er erhielt es, obwohl er zu einer den Taradori tendenziell feindlich gesinnten Fraktion gehörte.
Sicherlich hatten Taradori und Martians seit jeher Geschäfte gemacht, wenn sich ein klarer Vorteil daraus ableiten ließ. Meist profitierten beide Seiten. Wenn nicht, profitierte zumindest die martianische Fraktion. Was musste er daraus schließen? Die Taradori wollten ihn als Söldner anheuern, um eine bescheuerte, angebliche Prophezeiung zu erfüllen. War es nur der Glaube der Taradori oder versuchten sie ihn schlicht zu linken und würden das Angebot zurück ziehen, wenn er einlenkte? Nein, die Taradori und die Skolari waren für Worttreue berüchtigt. Wenn es aber keine Finte war, warum bot man ihm eine Gegenleistung diesen Ausmaßes, obwohl er sich problemlos mit deutlich weniger zufrieden gegeben hätte? Er würde diesen Gedankengang aufschieben müssen. Es ergab schlicht keinen Sinn.

Man hatte ihn eingeladen, ein militärisches Geheimnis der Taradori zu besichtigen. Warum wollte man Geheimnisse an die feindliche Fraktion geben? Schließlich bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie sich im Vergleich zur Kriegsmaschinerie der Martian lächerlich machten. Es sei denn, sie waren im Besitz einer unerwartet fortschrittlichen Technologie. Doch dann machte es keinen Sinn, sie ihm vorzuführen, ohne eine Schweigevereinbarung mit ihm zu treffen, an die er sich aber womöglich nicht einmal halten würde. Die Martian waren, im Gegensatz zu den beiden anderen, bekannten Fraktionen, eher nicht für ihre Redlichkeit berühmt.
Martians sind eine eingeschworene Gemeinschaft aus Kriegern, die jeden sich ergebenden Vorteil gnadenlos auszunutzen gedachten. Nein, die Besichtigung würden sich die Taradori ganz gewiss noch einmal überlegen. Dieses Thema konnte er also genau genommen auch abhaken. Wenn sie es aber ernst meinten… Was, beim Mars, ritt diese Konsulin? Welches Spiel spielten sie mit ihm und, verdammt seien sie alle, was sollte die bescheuerte Prophezeiung?
Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und lauschte dem Verhallen innerhalb des Schiffskörpers. Irgendetwas lief hier und er war ein Fingerpüppchen im Spiel der Taradori. Er lauschte in die Stille. Rauschen, Klicken, leises Piepsen. Seine Nanniten würden den Schiffsrumpf bald wieder vollständig hergestellt haben. Dann sollte er sich so schnell wie möglich verpissen. Hier lief etwas, worauf er sich nicht einlassen mochte.
Die Konsulin sprach von einem taradorischen Plan, den die Skolari unterstützten. Wenn dies nicht gelogen war, wovon er ausgehen durfte, so handelte sie im Auftrag der taradorischen Fraktion, war also kein Abgesandter der Shinganischen Regierung. Die Nummer war groß.

Sein Rechner spuckte nach einigen Minuten ein kleines Dossier zu Dr. Kora aus. Er arbeitete für die Fraktion der Skolari und unterstand keiner Regierung. Von Lana Geser hatte er dies ja bereits angenommen und Recht behalten, was das zweite Blatt bewies. Er sollte also von zwei Fraktionen der Cybaeanischen Galaxis mit einer Mission beauftragt werden, die sie ihm als Prophezeiung verkaufen wollten.
Gegen wen sollte sich eine solche Mission richten? Es blieben nicht mehr viele Fraktionen übrig. Wie konnten die beiden Fraktionen annehmen, dass Brin sich gegen seine eigene wenden würde? Der Preis allein ließ ihn nicht von meinem Stolz abrücken, zur Martianischen Fraktion zu gehören. Niemals. Oder musste er nur hoch genug sein? Hatte er das Vorhaben seiner Besucher geblickt?
Er lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück und ließ diesen Gedanken kreisen.

Nein. Seine Schlussfolgerung konnte nicht stimmen. Weder die Taradori noch die Skolari wären so blauäugig, einen Martian auf Martians zu hetzen. Alles Kriegsgerät beider Fraktionen zusammen genommen würde nicht annähernd die Schlagkraft der martianischen Gesamtflotte aufbringen können. Ein solches Unterfangen würde scheitern. Man müsste die Martians trennen. Kleine Verbände könnte man aufreiben. Doch selbst dann würden die Martians den kriegerischen Akt erkennen und mit geballter Kraft einen Gegenschlag ausführen, der nicht mehr auf dem Feld der Ehre abliefe. Sie würden Dutzende Welten dem Erdboden gleich machen. Nein, beim Mars, das konnte nicht der Plan sein. Taradori sind pazifistisch. Allein die Tatsache, dass sie ein Flaggschiff bauten, widersprach allen Gepflogenheiten. Wollten sie etwa mit seiner Unterstützung gegen die Jurmala ziehen? Verdammt, nein. Das liefe exakt auf das Gleiche hinaus. Einen Krieg.

Ihm fehlte ein Puzzleteil. Oder war doch schon alles gesagt worden? Sie waren sicher, dass er der Auserwählte sei, der die Taradori und die Skolari aus einer Misere führen würde. Sie wollten einen Martian, weil sie dessen militärische Kenntnisse brauchten. Sie wollten ihn als Söldner. Sie wollten, dass er das Flaggschiff sah, damit er…
Er ballte seine Rechte zur Faust und biss auf den Zeigefinger. Brin kamen die Tränen vor Schmerz. Er lockerte den Biss. Nein, Puzzleteile hin oder her. Welche seiner Kampf- oder Überlebenserfahrungen konnte das Angebot von 20 Welten und unbeschreiblich kostspieliger Technologie rechtfertigen? Eine Todesmission?
Pazifisten, Flaggschiff, zwei Fraktionen, er als Martian mit überzogener Bezahlung… Eines wurde ihm bewusst. Er würde nicht darauf kommen, wenn er wie ein Martian dachte. Auf und ab zu gehen brachte ebenfalls keine neuen Erkenntnisse. Brin legte sich auf seine Koje und grübelte. Das Kreisen von Gedanken machte ihn augenscheinlich doch müde. Nach zwei weiteren Minuten schlief er.

Eine neue Welt 4

Konsul Geser hatte ihm eine Nachricht hinterlassen. Das nervöse Blinken des Kommunikators deutete auf mehrere Anrufe hin. Brin entschloss sich nach dem ergebnislosen Nachtmarathon, den Konsul zurückzurufen.
„Konsul Geser?“ sagte er, als am anderen Ende die Leitung aktiviert wurde.
„Captain Stenyard!“ sagte Geser erfreut. Ehrlich erfreut. „Ich wollte Sie noch einmal fragen, ob Sie sich eventuell doch mit mir unser Flaggschiff anschauen wollen.“ sagte sie.
„Geehrter Konsul, ich habe Sie kontaktiert, da mir sehr wohl etwas an diesem Vorschlag lag. Ich muss Sie aber darauf hinweisen, dass ich mich nur bedingt an eine Schweigevereinbarung halten würde.“ sagte Brin.
Die Konsulin nickte: „ Sie wissen sicherlich, Captain, dass ich im Namen der taradorischen Fraktion spreche und dürften davon ausgehen, dass mir alle nötigen Freiheiten zur Verhandlung mit Ihnen gewährt wurden.“
„Ja, Konsul, ich bin selbst zu diesem Schluss gekommen. Leider fehlt mir aber das taradorische Gehirn, um Ihren Plan dahinter zu entwirren.“ sagte Brin lächelnd.
Lana Geser lachte laut auf, schüttelte den Kopf.
„Captain!“ sagte sie, „ich hole Sie in etwa 20 Minuten zur Besichtigung ab. Sie werden Ihre Freude haben und ich versichere Ihnen, sie werden sich an eine Schweigevereinbarung halten, die wir sie nicht einmal unterzeichnen lassen.“ Konsul Geser setzte wieder ein vieldeutiges Lächeln auf und lies Brin Stenyard wie einen Idioten mit seinen nun noch wilder rotierenden Gedanken zurück.

Sie war pünktlich. Er hatte demonstrativ seine Fraktionsuniform angelegt. Stenyard trug sie nur selten. So groß war sein Stolz auf seine Fraktion, die Schattenregierung der Martians nun auch wieder nicht. Das wusste Konsul Geser aber nicht. Er wollte bewusst provozieren. Wollte zeigen, dass er sich nicht wie eine Marionette herum schubsen ließ.
Seine Minerva lag im Wartefeld des großen Docks. Er musste sich in Gedanken berichtigen, eines riesigen Docks. Stufe um Stufe erklommen er und Konsul Geser das Vorderschott nur um von oben auf ein Dach zu schauen, dass ihm den Blick verwehrte. War es doch nur ein Spiel? Die Halle erstreckte sich in alle Richtungen recht weit. Hier mochte problemlos ein Frachter der Imperialklasse oder ein Kriegsschiff der Leviathanklasse hinein passen. Nein, erneut musste er sich korrigieren. Davon passten leicht zwei oder drei allein in dieses Dock. Und von solchen Docks sah er in dieser Werft spontan sechs. Er holte tief Luft und begnügte sich mit dem schweifenden Blick auf die entfernte Metropole Shingans mit einer durchaus beeindruckenden Skyline.
„Es ist schön hier oben.“ begann Captain Stenyard.
„Nicht wahr.“ Der Konsul sah ebenso beeindruckt auf die umliegende Landschaft. „Sie würden so etwas brandschatzen wollen, Captain?“
Er sah sie entgeistert an: „Konsul Geser, nichts liegt mir ferner…“ Plötzlich spürte er die zuschnappende Falle. „Konsul, sie sprechen erneut von der Mission, für die Sie mich gewinnen wollen? Sie prüfen mich?“
„Ich muss Sie nicht prüfen, Captain, ich habe Sie längst überprüft. Ihre Akte ist für uns ein offenes Buch.
Keine blutrünstigen Angriffe auf Welten der Taradori und Skolari nach dem großen Frieden von Blau. Abschied von der Luftwaffe der martianischen Fraktion. Dies bedeutet für mich auch, dass Sie ihre Uniform tragen, um mich zu prüfen.“ Sie hob die Hand, um einem Einwand Brins zuvor zu kommen. „Sie leben von Schmuggel und mittelschwerer Piraterie, sie genießen die kulinarischen und wirtschaftlichen Vorzüge taradorischer Welten, statt jene zu vernichten.
Kurzum, Captain Stenyard, wir betrachten Sie nicht als unseren Feind. Sicherlich riskieren wir einiges, wenn wir Ihnen einen Preis offerieren, den Sie problemlos mit anderen Ihrer Fraktion teilen könnten, die womöglich Ihre Ansichten über die Genüsse unserer Welten nicht teilen. Dieses Angebot gilt auch nicht direkt Ihnen persönlich sondern der Mission. Der Erfüllung der Prophezeiung. Dass ihre Erfüllung angebrochen ist, wussten wir, als wir unser Flaggschiff fanden. Wer sie erfüllen wird, wussten wir, als Sie den Angriff der Jurmala überlebt und in unserem Orbit gestrandet waren.
Ich möchte Sie nicht langweilen. Sie trauen unserer Mission nicht und ich respektiere das.“
Als Konsul Geser schwieg, setzte Brin zu einer Erwiderung an, beließ es dann aber dabei. Er drehte sich um, sah auf den Warteplatz, auf dem sein in roten Tönen lackiertes, mit typisch martianisch oder gar martialisch anmutenden Wappen geschmücktes, stolzes Schiff einen verlorenen Eindruck machte. Rot die Farbe der Martian, grün die der Taradori und blau die der Skolari. Solange er denken konnte, war dies so.
Unter ihnen kam das Dach in Bewegung. Es öffnete sich. Captain Stenyard versuchte schon im Spalt des sich öffnenden Daches das grüne Flaggschiff auszumachen, sah aber nichts. Wo zum Teufel steckte das Flaggschiff? Wollten ihn die Taradori verscheißern? Das Dach schob sich weiter auf und er sah noch immer nichts.
Als das Dach des Docks vollständig offen stand, blickte er seine Begleiterin wütend an.
„Ich stehe nicht auf so was, Konsul.“
„Nicht, Captain? Ich hatte gehofft, dass Sie den Spaß verstehen…“
„Liebste Lana, ich bin hier nicht herauf geklettert, um mich von Ihnen über mein friedliches Gemüt belehren zu lassen, wenn es um die Besichtigung eines Schiffes geht…“
„Captain, warten Sie mit Ihren Anschuldigungen noch ein paar Minuten. Wir besichtigen das Schiff. Ich habe keineswegs beabsichtigt, Sie einer sinnlosen Gewissensprüfung zu unterziehen, wie Sie gerade anzunehmen scheinen… Oh, da, die Plattform ist oben. Kommen Sie!“
Sie betraten die Antigravplattform, die daraufhin recht schnell dem Hallenboden entgegen strebte. Sie hatten noch nicht ganz die halbe Strecke zurück gelegt, als das Dach sich über ihnen wieder schloss. Nun es war eine interessante Inszenierung, die ihre Wirkung auf Brin nicht verfehlt hatte. Es fehlt nun nur noch ein kleines Detail. Das Schiff.
Konsul Geser erhob wieder nur kurz die Hand, um seine Frage im Keim zu ersticken. Nach oben blickend verfolgte sie die Verriegelung des Daches.
Sie tippte auf ihren Unterarm und sprach kühl in ein für ihn unsichtbaren Kommunikator. Sie verständigte sich mit dem Chef des Docks, der sich an Bord des Schiffes musste. Statisches Knacken ließ darauf schließen, dass es sich doch weiter entfernt aufhielt.
„Lana, ich fand es bis hierhin lustig. Nun beginnt es mich zu langweilen. Was ist das für ein Spiel? Zeigen Sie mir schon Ihr grünes Monster.“
Konsul Geser lachte laut auf. „Sie haben ja keine Ahnung, Captain Stenyard. Ich mag grün, doch unser Flaggschiff stammt nicht aus Eigenproduktion. Wir haben es gefunden und geborgen. Taradori und Skolari sind seit Monaten daran, es auf den neuesten, technischen Standard zu bringen. Leider sind wir nicht in allen, technischen Dingen, insbesondere den militärischen bewandert genug, um Sinn und Unsinn eines Systems einzuschätzen.
Aber ich will Sie nicht langweilen, Captain Stenyard. Ein Blick sagt Ihnen mehr als meine Worte.
„Dr. Tansa?“ fragte die Konsulin in ihren Kommunikator. Brin vernahm die blecherne, von atmosphärischem Knistern durchsetzte Antwort. „Deaktivieren Sie den taktischen Tarnschild.“
Erst auf dieses Stichwort hin spürte Stenyard das dumpfe Vibrieren in der Luft, das aber auch kurz darauf schon in sich zusammen brach und den Blick auf das eher mittelgroße Schiff freigab. Doch Größe ist nicht alles. Brin Stenyard hatte seinen Meister gefunden. Er war sprachlos und blickte mit offenem Mund auf eine Legende, die so alt war, dass niemand in dieser Galaxis sie noch für wahr hielt. Dieses Schiff war weder rot noch blau oder grün. Es stammte aus einer Zeit, in der es noch keine Fraktionen gab. Es musste hunderte von Jahren alt sein und hatte nichts, rein gar nichts von seiner Faszination eingebüßt. Ein klobiger und doch strahlend schöner, schwarzer Rumpf lag vor ihnen.
„Darf ich vorstellen…“, begann Konsul Geser.
„Die Thanatos.“ flüsterte Brin mit trockenem Mund.
Konsul Geser zeigte zufrieden ihr mehrdeutiges Lächeln.

Eine neue Welt 5

Der martianischen Legende nach war die „Thanatos“ trotz ihres eigenwilligen Namens kein Schlachtschiff. Es war zwar schwer bewaffnet, besaß aber mittlerweile in Vergessenheit geratene Technologien zur Verteidigung. So gesehen passte sie zur pazifistischen Einstellung der Taradori.
Was aber noch interessanter war. Sie war eines von drei Schiffen, die seinerzeit vom Ursprungsplaneten der Menschheit, der Erde aufgebrochen waren, um neue Lebensräume zu erkunden. Anders als einige, vergleichbare Projekte, misslang dieses aber anscheinend. Man hörte nie wieder etwas von der „Thanatos“, der „Phoibos“ und der „Erebos“.
Man konnte den Menschen der Erde eine gewisse Spitzfindigkeit nicht absprechen, wenn die alten Überlieferungen der Übersetzungen korrekt sein sollten. Brin zweifelte daran, denn schriftliche Überlieferungen so alter Zeiten waren ihm unbekannt. Ständige Fehden und Kriege hatten Großteile aller schriftlichen Aufzeichnungen vernichtet. Andere Methoden der Archivierung waren leider selten zeitlos. Entweder fanden sich keine Wiedergabegeräte mehr für alte Speichersysteme oder die Speicher selbst waren nutzlos geworden.
Thanatos mochte ein Vermittler zwischen dem Licht und der Dunkelheit gewesen sein, während Phoibos oder Apollon als Verkörperung des Lichtes und Erebos als die der Dunkelheit antrat. Letztlich war aber allen Schiffen eines gemeinsam. Es waren Forschungsschiffe mit einer Mission, von der sie nie zurück kehrten.
Die „Thanatos“ hatte nun den Weg zurück in von Menschen bewohnte Gefilde gefunden. Wie auch immer. Doch von der Besatzung konnte niemand mehr am Leben sein. Hunderte, wenn nicht tausend Jahre waren inzwischen vergangen. Und sie sah aus wie neu. Einfach unglaublich. Ein Meisterwerk der menschlichen Ingenieurskunst.
Von außen betrachtet wirkte die „Thanatos“ klobig und willkürlich eckig. Ihre Konturen schienen vor dem Auge zu verschwimmen. Welch wundersames Erscheinungsbild dieses Fossils. Hätte man keine glänzende Lackierung gewählt, wäre dieses Schiff in der Düsternis der Halle kaum auszumachen. Von der Schwärze des Alls ganz zu schweigen. Möglicherweise war dies den Skolari entgangen. Eine glänzende Hülle reflektierte Licht und andere Wellen. Glänzte sie nicht, würde das Schiff quasi unsichtbar. Und dies bereits ohne seinen Tarnschild.
Er würde es den Taradori sagen. Wahrscheinlich auch dann, wenn er sich gegen eine Mitwirkung entschloss.
Brin sah die Konsulin an und fragte: „Darf ich… darf ich sie besichtigen?“
Die Konsulin lachte laut auf und nickte nur, während sie eine einladende Geste in Richtung des Schiffes machte.
„Wir haben durchgefegt und aufgeräumt. Die Nanniten haben sich um die Hülle gekümmert. Der Zahn der Zeit hatte doch beträchtlich an ihr genagt und sie ganz stumpf werden lassen.“ Stenyard grinste nur, ließ sie aber weitersprechen.
„Manche Systeme ließen sich problemlos starten, für andere fehlten uns Codes oder irgendwelche andere Mittel. Sie blieben uns unergründlich. Wenn wir es nicht besser wüssten, müssten wir annehmen, die Thanatos käme aus der Zukunft zu uns.“
Brin schaute den Konsul irritiert an. Geser sprach daraufhin weiter: „Die Kämpfe in den vergangenen Jahrhunderten, die Spaltung der Menschheit in Fraktionen… All das hat soviel Wissen vernichtet. Mehr als es hervorbrachte. Die uns verständlichen Systeme des Schiffes waren so unvergleichlich leistungsstark… Die Tarnung kennt unsere Wissenschaft in dieser Form nicht. Nun arbeiten die Skolari an einer praktikablen Form für unsere, eigenen Schiffe.“
Stenyard schmunzelte. Hatte sich seine Begleiterin gerade zu weit aus dem Fenster gelehnt, als sie ihm dieses Forschungsziel enthüllte? Nein, vermutlich gehörte das alles zu ihrem Plan, der ihm immer verständlicher zu werden schien. Sie wollten ihn an Bord dieses Schiffes auf eine Mission schicken, in der es wahrscheinlich zu Kämpfen kommen würde. Sein strategisches und taktisches Wissen würde benötigt. Vielleicht als Waffenoffizier? Aber das erklärte die Großzügigkeit des Angebots nicht. Es sei denn, es wäre ein Himmelfahrtskommando.
„Konsul, ich möchte Sie noch einmal fragen, was mit der Mission und meiner Rolle dabei zu bewenden hat. Am liebsten noch bevor Sie mir den Mund im Schiff so wässrig machen, dass ich keine Wahl mehr habe. Außer dem Tode vielleicht…“
Lana Geser schmunzelte: „Captain Stenyard, mir ist bewusst, dass ich Sie in eine bedenkliche Situation manövriere, wenn ich Sie mit an Bord der Thanatos nehme. Lassen Sie sich versichert sein, dass uns nicht daran gelegen ist, Sie in einen Gewissenskonflikt zu stürzen oder an dem gegenwärtigen, politischen Patt in dieser Galaxis zu rühren. Unser Angebot hat Bestand. Den Hintergrund darf ich Ihnen aber erst enthüllen, wenn Sie uns Ihre Mitwirkung schriftlich zugesagt haben.“
„Welche Rolle haben Sie mir in Ihrem Spiel zugedacht, Lana?“ Brin blieb trotzig vor der Luke stehen.
Lana Geser seufzte und sagte: „Ich bitte Sie, Captain, beenden Sie mit mir den Rundgang durch das Schiff und ich werde Ihnen Rede und Antwort stehen. Denn bis dahin werden Sie mir Ihre Mitwirkung zugesagt haben.“
Stenyard war irritiert, folgte aber der erneuten, einladenden Armbewegung des Konsuls und betrat das Schiff.