In den zahllosen Wochen seit seinem ersten Erwachen nach dem Absturz hatte Legomanns Genesung gewaltige Fortschritte gemacht. Nun fühlte er sich trotz seiner Freiheiten eingesperrt. Sein Domizil durfte er nur verlassen, um andere fensterlose Räume des gleichen Gebäudes aufzusuchen.
Einmal war man auf sein Drängen hin mit einem fensterlosen Transporter zu einem entlegenen Strand geflogen. Einen Ortsbezug konnte er auch dort nicht herstellen. Die Sternbilder vermochte er nicht zu deuten. Er war eben kein Navigator.
Beim sanften Rauschen des Meeres war es ihm dort zum ersten Mal wieder gelungen, eine Tiefenmeditation aufzubauen und über mehrere Stunden aufrecht zu erhalten. Er war dabei in sich eingetaucht und hatte die zahllosen Veränderungen seiner Physis wahrgenommen. Er bestand noch immer aus Fleisch und Blut doch unter dieser Oberfläche fand sich nur noch wenig natürlich Gewachsenes. Naniten heilten seine Wunden schneller als es die Blutgerinnung schaffte. Muskelstränge und Knochen waren bionisch. Künstlich. Er war eigentlich mehr Maschine als Magume.
Nein. Genau genommen war er vieles aber ganz sicher kein Magume. Sein Gehirn oder seine Seele mochten transplantiert worden sein. Der Körper war gewiss nicht der seine. In ihm steckten keine Erinnerungen, wie sie jede Körperzelle mit der Zeit aufnahm. Die man erschließen konnte, wenn man ihre Sprache, die Sprache der Meditation erlernte.
In Legomann keimte ein Verdacht. Nicht wirklich erschreckend, denn er lebte. Nicht bedrohlich, denn er hatte sein Leben gelebt und mit dem imperialen Größenwahn abgeschlossen. Doch es nagte beharrlich.
„Ich hätte gern einen Spiegel.“ dachte er.
„Nun es war zu erwarten, dass Du diesen Wunsch irgendwann verspüren würdest.“ hallte es in seinem Kopf wieder: „Die Methode entspricht der unserer Fenster. Wenn Du es wirklich willst, wird sich Dir auch ein Spiegel zur Vefügung stellen.“
„Macht ihr Euch keine Sorgen?“ dachte Legomann.
„Nein, wir wissen, dass Du Dir und Deiner veränderten Physis bewusst geworden bist. Irgendwann musste dieser Zeitpunkt kommen, an dem Du deinem neuen Inneren auch ein neues Äußers zusprechen kannst und musst.“
Also doch. Er war nicht mehr er selbst. Nun, wie dem auch sei. In den vergangenen Wochen hatte er viel Zeit über sich, die Welt da draußen im allgemeinen und diese schutzbedürftige Welt zu seinen Füßen insbesondere nachzudenken.
Legomann wusste, dass sein Ende im übertragenen Sinne unmittelbar bevor stand. Er würde nie wieder auf eine seiner Welten zurückkehren. Sein Blick in den Spiegel war der nur noch der krönende Abschluss, der diese wilden Gedanken Gewissheit werden ließ.
Er musste das nicht tun, denn er wusste bereits, was er zu sehen bekäme. Dennoch wollte sein ganzes Ich diesen Schritt zum endgültigen Abschluss seiner monatelangen Verwandlung.
Das Sonnenlicht hinter der Wand verblasste und es formten sich die verzerrten Konturen seines Zimmers nach. Der Spiegel entstand.
Legomann lächelte. Das Lächeln auf seinem Gesicht wirkte fremd auf ihn, doch das tat das ganze Gesicht. Eleganter konnte man sich definitiv nicht aus der imperialen Politik zurück ziehen. Aus dem Lächeln wurde Schmunzeln, dann ein Grinsen.
„Verdammt Jungs! Ihr wisst, wie man einem lebensmüden alten Magumen wieder Lebensfreude schenkt.“ Er erwartete keine Antwort. Dennoch erhielt er eine.
„Uns ist bewusst, dass dies nicht ganz die Form darstellt, die Dir vorschwebte, Legomann. Dein Bewusstsein steckte plötzlich in mir und ich kämpfte eine Zeitlang dagegen an, bis mir die Tragweite klar wurde. Wir mussten schnell eine geeignete Hülle für Dich, für Dein Bewusstsein schaffen, da meines sonst in höchster Gefahr der Vernichtung geschwebt hätte…“
„Die Meditationen… ich verstehe.“
„Ja, das ist auch meine einzige Erklärung für diesen Vorfall. Aus der Tatsache heraus, dass Dein Bewusstsein meinen Körper als Zuflucht gewählt hatte, konnten wir nur schließen, dass hier die größte Kompatibilität bestand. Mein Klon reifte jedoch nicht schnell genug.“
„Daher die bionischen Ergänzungen?“ fragte Legomann.
„So ist es.“ sagte die unbekannte Stimme.
„Auch wenn ihr es nicht für möglich halten mögt. Ich bedanke mich sowohl für meine Rettung als auch mein neues Leben. Ich gedenke die mir verbleibende Zeit in Eure Dienste zu stellen.“
„Das hatten wir stets gehofft. Ich werde der Führung unserer Welt Deine Entscheidung übermitteln.“ sagte der Unsichtbare.
„Ich freue mich darauf.“, sagte Legomann.
Legomann bereitete sich auf eine Meditation besonderer Art vor. Er würde in tiefer Trance ausharren, bis er die Anwesenheit Hawkings spürte und ihn dann an seine Seite bitten, ihm den Weg dahin aufzeigen. Bald würde er wissen, auf wessen Welt er sich aufhielt und in wessen Dienste Hawking eintreten müsste, um ihm wieder zur Verfügung zu stehen. So ganz wollte er die Brücken dann doch nicht abbrechen. Nicht ohne seinen Vertrauten.
Man mochte der materiellen Welt entsagen und sich in eine ideelle flüchten. Mit ein bisschen Grundkapital ließ es sich viel geduldiger in fremden Welten ausharren.
Nunja, Legomann wusste, was seine mosoranischen Freunde von ihm erwarteten. Sie wollten diese Welt mit aller Macht schützen und aus dem Tauziehen imperialer Mächte heraus halten. Nachvollziehbar und seiner Meinung nach sogar machbar.
Er würde sich den Vertretern dieser Welt schon deutlich machen können. Unsichtbar bleibt nur, wer sich nach außen nicht zu erkennen gibt. Wer keinen Handel mit fremden Welten treibt, keine Schiffe hinaus schickt, nicht mit Radio- oder gar Subraumsignalen um sich wirft, auf Kolonisierung fremder Welten verzichtet und sich beim Ausbau der planetaren Infrastruktur auf ein Minimum beschränkt, der sollte auch keine Sorge um unerwünschte Besucher von außerhalb haben müssen.
Der General a.D. lehnte sich zurück. Schmunzelnd ließ er den Gedanken freien Lauf. Legomann würde bald Geschichte sein, die man sich anderswo erzählte.