Zeugnis der Wandlungen 13

In den zahllosen Wochen seit seinem ersten Erwachen nach dem Absturz hatte Legomanns Genesung gewaltige Fortschritte gemacht. Nun fühlte er sich trotz seiner Freiheiten eingesperrt. Sein Domizil durfte er nur verlassen, um andere fensterlose Räume des gleichen Gebäudes aufzusuchen.

Einmal war man auf sein Drängen hin mit einem fensterlosen Transporter zu einem entlegenen Strand geflogen. Einen Ortsbezug konnte er auch dort nicht herstellen. Die Sternbilder vermochte er nicht zu deuten. Er war eben kein Navigator.

Beim sanften Rauschen des Meeres war es ihm dort zum ersten Mal wieder gelungen, eine Tiefenmeditation aufzubauen und über mehrere Stunden aufrecht zu erhalten. Er war dabei in sich eingetaucht und hatte die zahllosen Veränderungen seiner Physis wahrgenommen. Er bestand noch immer aus Fleisch und Blut doch unter dieser Oberfläche fand sich nur noch wenig natürlich Gewachsenes. Naniten heilten seine Wunden schneller als es die Blutgerinnung schaffte. Muskelstränge und Knochen waren bionisch. Künstlich. Er war eigentlich mehr Maschine als Magume.
Nein. Genau genommen war er vieles aber ganz sicher kein Magume. Sein Gehirn oder seine Seele mochten transplantiert worden sein. Der Körper war gewiss nicht der seine. In ihm steckten keine Erinnerungen, wie sie jede Körperzelle mit der Zeit aufnahm. Die man erschließen konnte, wenn man ihre Sprache, die Sprache der Meditation erlernte.
In Legomann keimte ein Verdacht. Nicht wirklich erschreckend, denn er lebte. Nicht bedrohlich, denn er hatte sein Leben gelebt und mit dem imperialen Größenwahn abgeschlossen. Doch es nagte beharrlich.

„Ich hätte gern einen Spiegel.“ dachte er.
„Nun es war zu erwarten, dass Du diesen Wunsch irgendwann verspüren würdest.“ hallte es in seinem Kopf wieder: „Die Methode entspricht der unserer Fenster. Wenn Du es wirklich willst, wird sich Dir auch ein Spiegel zur Vefügung stellen.“
„Macht ihr Euch keine Sorgen?“ dachte Legomann.
„Nein, wir wissen, dass Du Dir und Deiner veränderten Physis bewusst geworden bist. Irgendwann musste dieser Zeitpunkt kommen, an dem Du deinem neuen Inneren auch ein neues Äußers zusprechen kannst und musst.“

Also doch. Er war nicht mehr er selbst. Nun, wie dem auch sei. In den vergangenen Wochen hatte er viel Zeit über sich, die Welt da draußen im allgemeinen und diese schutzbedürftige Welt zu seinen Füßen insbesondere nachzudenken.
Legomann wusste, dass sein Ende im übertragenen Sinne unmittelbar bevor stand. Er würde nie wieder auf eine seiner Welten zurückkehren. Sein Blick in den Spiegel war der nur noch der krönende Abschluss, der diese wilden Gedanken Gewissheit werden ließ.

Er musste das nicht tun, denn er wusste bereits, was er zu sehen bekäme. Dennoch wollte sein ganzes Ich diesen Schritt zum endgültigen Abschluss seiner monatelangen Verwandlung.
Das Sonnenlicht hinter der Wand verblasste und es formten sich die verzerrten Konturen seines Zimmers nach. Der Spiegel entstand.

Legomann lächelte. Das Lächeln auf seinem Gesicht wirkte fremd auf ihn, doch das tat das ganze Gesicht. Eleganter konnte man sich definitiv nicht aus der imperialen Politik zurück ziehen. Aus dem Lächeln wurde Schmunzeln, dann ein Grinsen.
„Verdammt Jungs! Ihr wisst, wie man einem lebensmüden alten Magumen wieder Lebensfreude schenkt.“ Er erwartete keine Antwort. Dennoch erhielt er eine.
„Uns ist bewusst, dass dies nicht ganz die Form darstellt, die Dir vorschwebte, Legomann. Dein Bewusstsein steckte plötzlich in mir und ich kämpfte eine Zeitlang dagegen an, bis mir die Tragweite klar wurde. Wir mussten schnell eine geeignete Hülle für Dich, für Dein Bewusstsein schaffen, da meines sonst in höchster Gefahr der Vernichtung geschwebt hätte…“
„Die Meditationen… ich verstehe.“
„Ja, das ist auch meine einzige Erklärung für diesen Vorfall. Aus der Tatsache heraus, dass Dein Bewusstsein meinen Körper als Zuflucht gewählt hatte, konnten wir nur schließen, dass hier die größte Kompatibilität bestand. Mein Klon reifte jedoch nicht schnell genug.“
„Daher die bionischen Ergänzungen?“ fragte Legomann.
„So ist es.“ sagte die unbekannte Stimme.
„Auch wenn ihr es nicht für möglich halten mögt. Ich bedanke mich sowohl für meine Rettung als auch mein neues Leben. Ich gedenke die mir verbleibende Zeit in Eure Dienste zu stellen.“
„Das hatten wir stets gehofft. Ich werde der Führung unserer Welt Deine Entscheidung übermitteln.“ sagte der Unsichtbare.
„Ich freue mich darauf.“, sagte Legomann.


Legomann bereitete sich auf eine Meditation besonderer Art vor. Er würde in tiefer Trance ausharren, bis er die Anwesenheit Hawkings spürte und ihn dann an seine Seite bitten, ihm den Weg dahin aufzeigen. Bald würde er wissen, auf wessen Welt er sich aufhielt und in wessen Dienste Hawking eintreten müsste, um ihm wieder zur Verfügung zu stehen. So ganz wollte er die Brücken dann doch nicht abbrechen. Nicht ohne seinen Vertrauten.
Man mochte der materiellen Welt entsagen und sich in eine ideelle flüchten. Mit ein bisschen Grundkapital ließ es sich viel geduldiger in fremden Welten ausharren.
Nunja, Legomann wusste, was seine mosoranischen Freunde von ihm erwarteten. Sie wollten diese Welt mit aller Macht schützen und aus dem Tauziehen imperialer Mächte heraus halten. Nachvollziehbar und seiner Meinung nach sogar machbar.

Er würde sich den Vertretern dieser Welt schon deutlich machen können. Unsichtbar bleibt nur, wer sich nach außen nicht zu erkennen gibt. Wer keinen Handel mit fremden Welten treibt, keine Schiffe hinaus schickt, nicht mit Radio- oder gar Subraumsignalen um sich wirft, auf Kolonisierung fremder Welten verzichtet und sich beim Ausbau der planetaren Infrastruktur auf ein Minimum beschränkt, der sollte auch keine Sorge um unerwünschte Besucher von außerhalb haben müssen.

Der General a.D. lehnte sich zurück. Schmunzelnd ließ er den Gedanken freien Lauf. Legomann würde bald Geschichte sein, die man sich anderswo erzählte.

Zeugnis der Wandlungen 14

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Hoher Rat der Welten aufgelöst
Nach einem Eklat in der Ratssitzung wegen der Abspaltung aller Kolonien vom Herrschaftsbereich, verließen angesehene Repräsentanten des Hohen Rates die Versammlung kommentarlos. Ty Storme, der Vorsitzende des Imperialen Rats, wurde während seiner gesamten Rede ausgebuht.
Mehrere Tage belagerte die Bevölkerung Panteons das Ratsgebäude und drohte mit Mordanschlägen auf Ty Storme. Der 3. Beisitzer des Vorstands verkündete daraufhin den Entschluss, den Hohen sowie den imperialen Rat aufzulösen und Gouvernements mit lokalen Befugnissen zu gründen.
Die Vorbereitungen zu den ersten freien Wahlen sind angelaufen.
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Fahnenflucht hoher Militärs
Einen herben Rückschlag mussten die Führungsstäbe der imperialen Truppen hinnehmen. Hochrangige, imperiale Offiziere verließen die Truppe und wohl auch den Planeten, denn sie wurden von den Polizeikräften nicht mehr angetroffen und blieben unauffindbar. Zu ihnen gehört u.a. der angesehene Colonel a.D. Hawking Jar. Sein Anwesen wurde als Zeichen der Schmach und des Verrats niedergebrannt. Auch Ty Storme, der Vorsitzende des ehemaligen imperialen Rates bleibt verschwunden.
Es wird angenommen, dass sich die Offiziere als Söldner in anderen Welten verdingten und somit den Ruf der Welten des Legomann massiven Schaden zufügten.
Der Zerfall dieser Welten scheint nicht aufzuhalten zu sein und schreitet massiv fort. Sollten auch die in zwei Wochen stattfindenden Wahlen ergebnislos bleiben, droht der Untergang unserer Zivilisation, wie wir sie kennen.
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Absturz aufgeklärt
Unseren Wissenschaftlern ist es gelungen, anhand der aus dem Flugschreiber und der gespeicherten Subraumkommunikation gewonnenen Erkenntnisse den geheimnisumwitterten Absturz des Schiffes des Hohen Rates aufzuklären, bei dem unser allseits geschätzter imperialer Rat, General Legomann, sein Leben verlor.
Die Rekonstruktion der letzten Sekunden zeigt deutlich, dass ein direkter Treffer gegnerischen Feuers den Antrieb zu einem willkürlichen Sprung in ozoidisches Territorium veranlasste, nach welchem das Schiff in unmittelbarer Nähe eines massereichen Planeten aus dem Hyperraum austrat und sofort in einen unkontrollierbaren Sinkflug überging.
Die Scanner zeigten in unmittelbarer Nähe noch ein weiteres, nicht identifiziertes Schiff an, das allerdings nicht eingriff. Kurz nach einer ungewöhnlichen Energiespitze, die dem fremden Schiff jedoch nicht zuzuschreiben war, zerbrach das Schiff in etwa 8km Höhe in mehrere Teile. Dies erklärt nach Aussage der Wissenschaftler auch die immense Streuweite der gefunden Wrackteile. Jedes für sich schlug im flachen Winkel mit einer Geschwindigkeit von über 800km/h auf den Boden. Dies belegt auch die Intensität der terranen Verwüstung.
Die Mannschaft war zu diesem Zeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits durch die kaum atembare Atmosphäre des Planeten umgekommen. Sofern sie vor dem Aufprall aus den Wrackteilen geschleudert wurden, erklärte dies auch, dass keine sterblichen Überreste im Umfeld der Absturzstelle entdeckt werden konnten.
Aus der Kommunikation der Mannschaft im Vorfeld war abzulesen, dass sich der General zum Zeitpunkt des Absturzes in einer Art Tiefenmeditation befand. Das Unglück hat ihn also nicht bei Bewusstsein ereilt. Möge er in Frieden ruhen.

Die Suche wird in den kommenden Tagen in einem größeren Radius wiederholt. Es wird angenommen, danach sterbliche Überreste an die hinterbliebenen Angehörigen übergeben zu können.
Sollten die Gebeine Legomanns auffindbar sein, findet nach der Rückkehr des Bergungstrupps ein feierliches Begräbnis mit Staatsakt auf dem hauptstädtischen Heldenfriedhof statt.

So furchtbar diese Tragödie auch gewesen sein mag, konnte sie doch vorbehaltlos und allumfassend aufgeklärt werden.

Das Forschungsministerium

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Legomann wachte langsam aus seiner Tiefenmeditation auf.
Nun war er sich seines zukünftigen Weges sicher. Lange Zeit war er verblendet von Macht. Berauscht von diplomatischen Höhenflügen. Es wurde allerhöchste Zeit, zur Wiedergutmachung zu leisten und Buße zu tun. Ihm war vom Schicksal eine zweite Chance eingeräumt worden.

Sein ehemaliger Herrschaftsbereich war zerschlagen. Nicht alle personellen Wünsche konnten ihm erfüllt werden. Sein treuer Adjutant Jar hatte sich für einen Lebensabend in den Diensten eines anderen, mächtigen Herrschers entschieden. Vermutlich traute er Legomanns unterbewussten Botschaften nicht. Wer weiß ob er sie überhaupt zu registrieren in der Lage war oder womöglich schon an seinen, Legomanns Tod glaubte. Dies mochte auch für viele seiner ehemaligen Mitstreiter gelten.
Glaube besitzt bekanntlich große Macht über Körper und Geist. Seiner hatte es geschafft, ihn in eine neue Welt zu portieren, in der er sich anschickte, erneut recht erfolgreich zu werden. Er musste den Dingen ihren Lauf lassen.

Seine Zeit war gekommen. Nein, sie war vielmehr um. Obwohl er nun wieder einen eigenen Körper besaß, gab es nunmehr weder den General noch einen Legomann. Er musste sich dies eingestehen, bevor er innerlich Abschied nehmen konnte.

Doch letztlich führte jede Wendung und jedes Zögern doch nur zu einem Ergebnis…

Legomann hatte aufgehört zu existieren.


 

Dieses letzte Kapitel habe ich an dem Tage geschrieben, an dem ich meinen Account bei Looki unter dem Nick „Legomann“ löschte.