Zeugnis der Wandlungen 4

Die Tage und Wochen zogen ins Land und verwehten wie trockenes Laub.

Mehrere Anläufe für diplomatische Übereinkünfte waren an den starren Haltungen der jeweiligen Parteien gescheitert. Zahlreiche Dienstreisen zu den Welten seines Einflussbereiches hatten ihn so sehr in Anspruch genommen, dass er bislang noch keine Zeit gefunden hatte, sich persönlich um die politischen Geschicke des Imperiums zu kümmern.

Es musste etwas geschehen. Mehr oder weniger regelmäßige Angriffe wurden von imperialen Mitstreitern gemeldet. Es galt sie zu vergelten, ohne noch mehr Unmut auf das Imperium zu lenken. Sich Helfershelfer zu organisieren wäre zwar einfach aber nicht sonderlich ehrenhaft.

Legomann saß allein auf seiner Terrasse und nippte an seinem ersten magumischen Ale dieses Abends.
Welchen Weg sollte sein Imperium einschlagen? Wie macht man ein Imperium für Attentäter uninteressant? Wie kann man Übergriffe effektiver vergelten? Wie garantiere ich kurze Reaktionszeiten?

Er zermarterte sich den Kopf, ohne zu einer alle strategischen Ziele abdeckende Lösung zu gelangen. Da es eine Frage imperialer Sicherheit war, konnte er ohnehin nichts allein entscheiden. Sollte er eine Alleinherrschaft in der Generatio Nova anstreben? Würde das Entscheidungsketten verkürzen und die Effektivität der Verteidigung steigern?
Nein, vermutlich nicht. Vielleicht. Nein, eher nicht. Mit diktatorischen Maßnahmen würde man nur loyale Herrscher unwillkürlich vor den Kopf stoßen. Das war inakzeptabel.

Es galt, eine revolutionäre Lösung zu finden, die das Imperium zu alter Stärke zurückführte, ohne auf die Ausbildung junger Herrscher und den Support anderer solcher, imperialer Zusammenschlüsse zu verzichten.
Es galt Kommunikationswege deutlich zu verkürzen. Den Zusammenhalt zu fördern, eine gemeinschaftliche Herrschaftsbasis aufzubauen, ohne auf eine klare, militärisch orientierte Hierarchie zu verzichten.

Seine Augen leuchteten auf, als ihm ein Gedanke durch den Kopf schoss, der sich allerdings auch dieses Mal nicht manifestieren wollte oder festhalten ließ. Er würde es vertagen müssen.

Seine Gedanken wanderten zur Bar, als der Kommunikator plötzlich einen eingehenden Anruf signalisierte.

Second Lieutenant Fazart, sein heutiger Adjutant für imperiale Fragen bat ihn, ein hochrangiges Mitglied der Generatio Nova für eine Audienz durchstellen zu dürfen. Der Lieutenant General bat darum, indem er seinem jungen Adjutanten mit fahriger Handbewegung das Wort abschnitt.

Das Bild wechselte und das Gesicht eines sichtlich erregten Force erschien.
„Ehrenwerter Legomann, ich ersuche Euch um eine schnelle Lösung der Problematik, bevor sie uns über den Kopf wächst. Ihr verbietet uns massives Vorgehen gegen unsere Peiniger, um nicht das trübe Schicksal über das Imperium zu bringen. Doch deren Zahl steigt täglich, so wie die jungen Herrscher an wirtschaftlicher Kraft gewinnen.“
„Verehrter Force, ich verstehe Deine Situation und die Deiner Paten. Auch bin ich mir bewusst, dass die Situation nach einer dauerhaften und schnellen Lösung verlangt. Als virtueller Wing kann man nicht dauerhaft existieren, ohne sich des Protektorats einer machtvolleren Instanz zu versichern.“
Da war der Gedanke wieder. Und diesmal konnte er ihn festhalten und ausschmücken.
Legomann sagte: „Force, ich melde mich wieder, ich muss meine Idee einmal durchspielen. Gib mir ein paar Tage Zeit.“
Sein Gegenüber deutete eine Verneigung an und der Bildschirm erlosch.

Verdammt. Warum war dieser scheinbar geniale Gedanke bislang immer nur flüchtig aufgeflackert.
Er würde die Alliierten ansprechen und auf eine sinnvolle, gemeinsame Lösung hinarbeiten.

Nachdem der Rest des Ale im Ausguss verschwunden war, wählte er das Symbol des „Roten Telefons“.


„Mein lieber Force, ich bedauere es selbst auf das Äußerste.“
General Legomann starrte schon so lange auf den Bildschirm des Kommunikators, dass seine Augen brannten.
„General, das hilft weder mir, noch irgendeinem unserer Schützlinge. Muss ich annehmen, dass du deiner Verpflichtung gegenüber dem Imperium nicht mehr gerecht werden kannst?“, sagte Force.
„Wie soll ich diese Andeutung denn verstehen?“ Legomann war versucht, die Verbindung auf die unhöflichste Weise zu beenden.
Force sagte: „General, du begibst dich auf Reisen ohne dass die anstehenden, imperialen Fragen geklärt sind. Wir werden unterdessen niedergeritten und Deine lauthals verkündeten Bemühungen verlaufen im Sand.“
„Verdammt, Force, du kennst die Problematik genausogut, wie ich. Es war immer dieselbe. Wir können keinen Schutz rekrutieren, wenn die betreffenden Imperien einander schon Nichtangriffspakte abgetrotzt haben.“ Legomann rang um Fassung. Schon lange hat niemand mehr gewagt, ihm so vehement entgegen zu treten.
„Legomann, du hast Lösungen zugesagt. Liefere sie oder du bist dem demokratischen System der Generatio Nova nicht länger dienlich. Das oberste Gremium tagt am Samstag. Ich gehe davon aus, dass du teilnehmen wirst.“ Force gönnte ihm noch einen strafenden Blick, bevor er die Verbindung unterbrach.

General Legomann legte die Hände vor seine Gesicht und massierte mit den Fingerspitzen seine Stirn. „Nicht länger dienlich.“ Eine verflucht vielsagende Floskel. Demokratie…

„Ich muss ganz von vorn anfangen.“ sagte Legomann zu sich selbst. „Ich bin die Lösungssuche völlig falsch angegangen.“ Ein paar Tage blieben ihm noch, um eine akzeptable Lösung zu präsentieren. Man musste einen Partner finden, der Rundumschläge verteilen kann, ohne durch Bündnisse gebremst zu werden oder man muss sich eben doch selbst verstärkt um seine Verteidigung bemühen.

Oder beides.

Aber zuerst ist die Gremiumstagung zu überstehen.


Das war verdammt knapp. Kurz vor Beginn der Gremiumstagung konnte die Generatio Nova mit einer frischen Allianz aufwarten. Zu dumm, dass diese ausgerechnet durch Verhandlungen von General Force zustande kam.

Die allgemeine Freude in den Reihen des Imperiums ließ das gegen Legomann gerichtete Ultimatum ein wenig in den Hintergrund treten. Der General hatte so Gelegenheit, seine eigenen Pläne Formen annehmen zu lassen. Doch für eine solch radikale Lösung war das Imperium wohl noch nicht reif.
Wie sonst konnte es angehen, dass der Senat den Vortrag durch Zwischenrufe unterbrach und ihn seine Gedanken nicht zu Ende bringen ließ. Man konnte es als eine offene Front gegen ihn innerhalb des Senats betrachten.

Wodurch war es nur so weit gekommen. Das Gros des imperialen Gefolges stand nach wie vor hinter ihm. Erst gestern wieder hatten seine Werften einen Großauftrag von Major General King Monk erhalten. Das Vertrauen in seine wirtschaftliche Macht war ungebrochen. Das in seine Politische schwand hingegen schon. Möglicherweise.

„Ich muss mich ein paar Tage rar machen, um dann gestärkt an die politische Front zurück zu stoßen.“, sagte der General in Gedanken zu sich selbst.

Tiefe Sorgenfalten durchfurchten seine Stirn. Er konnte sie selbst auf mehrere Meter Entfernung deutlich im Ankleidespiegel seines Gästezimmers erkennen. Der ozoidische Lykra funkelte in seinem Glas, als er die Strahlen der roten Sonne Circonias brach.
Die Ringe des Planeten waren heute nur schwach erkennbar. Ein Staubschleier hatte sich über den gesamten circonischen Himmel ausgebreitet.
Ein leicht erhöhter Feuchtigkeitsanteil in Luft und Boden sorgte dafür, dass sich die Durchschnittstemperaturen im Jahresmittel kaum bewegten. damit unterschied sich Circonia doch recht erheblich von dem sonst so ähnlich wirkenden Panteon.
Der sich einige hundert Meter unter der circonischen Oberfläche befindliche Ozean glich die Pendelbewegungen der Planetenachse und damit die etwas unwuchtige Rotation aus. Allerdings beschleunigte sie sich dadurch. Die Tage vergingen buchstäblich im Fluge…

„Auf Euer Wohl!“, sagte Legomann leise, als er sein Glas einer kleinen Gruppe lautlos dahin ziehender, circonischer Kohlgeier entgegen streckte.
Er war sich nicht im Klaren, ob es eine gute Woche werden würde. Es stand erneut eine Menge Arbeit an, die ihm wie immer keiner abnehmen wollte oder konnte.
Es war kühl und windstill. Lag sein leichtes Frösteln wirklich nur an den herbstlichen Temperaturen oder floss tatsächlich die Angst vor Machtverlust durch seine Adern?

Er brauchte Abstand. Nachdem er die Terrassentür geschlossen und sein Glas auf den Schreibtisch gestellt hatte, deaktivierte er die Kommunikationseinrichtung, warf sich auf seine Liegefläche, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und schloss die Augen.
Ruhe.