Pearl Canopus 2

Nachdem er seit langem mal wieder eine Reise durch einen Großteil des Hochsicherheitsgebiets New Edens hinter sich hatte, gönnte sich Pearl etwas Ablenkung. Im Casino hatte er einer überaus attraktiven, erotischen Tänzerin einen Tageszugangscode für sein Quartier zugesteckt. Dieser stellte zugleich die Zahlung von etwa 100.000 Kredits in Aussicht.

Viele dieser Mädchen wurden aus der Sklaverei befreit und waren nun zu Heimatlosen geworden, die sich ihren Lebensunterhalt mit vollem Körpereinsatz verdienen mussten. War das der erhoffte, gesellschaftliche Aufstieg. Pearl mochte das nicht recht verstehen. War es doch die Jagd nach vergänglichen Werten, nach Wohlstand und die Sehnsucht nach Sorglosigkeit, die diese Menschen umtrieb.
Er wusste, dass derlei Werte in der heutigen, rein kapitalistischen Kultur längst nicht mehr existierten. Ihm verschaffte Geld lediglich die Möglichkeit, der Suche nach Wissen und Erleuchtung nachzugehen. Doch heute Abend sehnte er sich nicht nach Erleuchtung sondern der profanen Befriedigung körperlicher Bedürfnisse.

An der Tür erklang ein Signal. Pearl öffnete und ließ die sich scheu umblickende Kleine ein.
– „Keine Sorge, Miss, ich werde sie schon nicht fressen.“ sagte er.
– „Sir, ich bin nicht sehr geübt im gesellschaftlichen Umgang.“ Sie sprach leise.
– „Nennen sie mich Pearl, Miss.“
– „Ist das nicht ein Name für eine…“
Pearl musste lächeln und unterbrach sie.
– „Eltern meiner Blutlinie nutzen durchaus subtile Mittel, ihre Kinder zu quälen.“
Als ihm ein lautes, bellendes Lachen entfuhr, wandte sich das Mädchen erschreckt zu ihm um, wich aber nicht zurück.
– „Ich beiße wirklich nicht.“ sagte er lächelnd. „Darf ich Ihren Namen erfahren, Miss? Oder pflegen Sie nur anonyme Transaktionen?“
– „Meine Eltern nannten mich Samamuni.“ sagte sie ebenfalls leise.
– „Darf ich sie Sam nennen? Dann hätten wir beide ein Schmunzelgeheimnis… Sam und Pearl.“
– „Ist mir recht. Mir hat man schon viele Namen gegeben. Nicht alle waren schmeichelhaft.“
Ein Lächeln schwebte um ihren sinnlichen Mund. Pearl hätte sie am liebsten küssen mögen. Doch ihm war bekannt, dass diese Form der Zärtlichkeiten im Escort-Gewerbe eher unüblich war.
Er nahm ihr Gesicht sanft in seine Hände. Sie legte ihre umgehend auf die seinen, stets bereit, diese von ihrem Gesicht zu reißen. Doch sie zog nicht an seinen Händen und er sah ihr lange in die Augen und murmelte ihr ein paar Worte eines alten Meditationsmantras zu. Daraufhin ließ sie ihre Hände fallen, als wären sie plötzlich schwer geworden und stand einfach nur ruhig da.
Pearl blickte in tiefe, braune Augen mit einer sanften Andeutung einer Mandelform. Sie erwiederte seinen Blick nun ohne jegliche Unruhe.
Ihre jugendliche Haut wirkte unter seiner Beleuchtung wie heller, rötlich-brauner Ton. Sie wirkte natürlich und jugendlich auf ihn. Da schwang eine Menge Vherokior Blutlinie in ihren Zügen mit. Er schätze sie auf Mitte bis Ende Zwanzig.
Langsam ließ er seine Hände sinken und spürte ihre tiefe Entspannung. Er legte seine rechte Hand sanft auf ihren Rücken und geleitete sie so zu einen funktionalen Divan, auf dem sich Sam mit keusch geschlossenen, seitwärts angewinkelten Beinen niederließ.
– „Ich hätte einen lieblichen Weißwein von Caldari Prime oder aber einen Amarrianischen Sekt im Kühlschrank. Möchtest du ein Glas mit mir trinken, Sam?“
– „Den Weißwein würde ich gern probieren, Pearl. Aber verzeih mir, wenn ich auf Genüsse der Amarr eher verzichte.“
Er nickte und schenkte ihnen beiden jeweils ein Glas Weißwein ein und stopfte den Korken wieder ein Stück in die Flasche zurück. Die Gläser klangen einige Sekunden nach, nachdem sie angestoßen hatten.

Wenn Pearl auch auf rein gefühlsmäßiger Ebene oftmals ein wenig unterkühlt wirken mochte, verstand er sich doch auf Etikette. Auch empfand er durchaus Genuss an weiblicher Gesellschaft. Sam war angenehm ruhig, höflich und zurückhaltend.
Pearl hatte es auch schon mit polternden Trampeln zu tun. Temperamentvolle Frauen mochten seine inneren Spannungen zwar lösen können, verschafftem ihm jedoch keine Befriedigung. Ein solcher Akt war mehr mechanischer als emotionaler Natur. Sicher hatte das animalische auch seine angenehmen Seiten. Sollte Sam an einer sexuellen Begegnung interessiert sein, würde er aber einer eher emotionalen Befriedigung zweifellos näher kommen können.

Es überwältigte ihn trotz des obligatorischen Schutzes. Sie ließ sich ohne Widerspruch oder Hinterfragen auf die schon fast an Meditation grenzenden, überlieferten, tantrischen Übungen ein. Pearl erlebte eine sinnliche Woge nach der nächsten, ohne auch nur ein einziges Mal seinen Liebessaft zu vergießen. Aus seinen suchenden und findenden Händen schien Energie in sie zu fließen. Als auch sie sich aufzubäumen begann, ließ er sich fallen. Wärme und Geborgenheit. Lust und Entspannung. Tiefe Vertrautheit. Oder kurz gesagt das hinterlistige Spiel der Hormone.

Am nächsten Morgen drehte er sich zu ihr um, als sie auf der Bettkante saß, ihr schwarz-braunes Haar mit den Händen hochwarf, um es aus dem eben übergetreiften Hemd zu heben.
– „Ich möchte dir danken.“ sagte Pearl. „Es ist sehr lange her, dass ich solche angenehme und anhaltende, positive Schwingungen verspüren durfte. Ich könnte dich lieben lernen.“
– „Versteh mich nicht falsch, Pearl, du bist herzlich und gütig und zweifellos liebenswert. Ich habe bisher auch noch nie solche Beben der Lust verspürt. Aber ich gehöre nicht hier her. Und du bist sicher nicht der Mann, mit dem ich lange glücklich und zufrieden leben könnte. Du bist Kapselpilot. Kapselpiloten sind anders. Die Unsterblichkeit verändert Menschen.“
Obwohl Pearl überzeugt war, dass sie nur Gründe vorschob, um ihn von der viel simpleren Wahrheit abzulenken, nickte er verständnisvoll. Natürlich war er zu alt für sie. Er hätte fast ihr Vater sein können. Sie hatten ein wirtschaftliches Arrangement getroffen und er hoffte auf mehr, da er die Schwingungen der Einheit zu verspüren glaubte. Doch mehr würde es nicht geben. Seine Erinnerung würde genügen müssen.
– „Sam, es bedeutet mir viel, dich kennengelernt zu haben. Danke. Für Alles…“

Als sie sich zum Gehen wandte, deutete sie eine leichte Verbeugung und Pearl einen Handkuss auf ihre dargebotene Rechte an.
– „Lebe wohl.“ sagte er.
Sie lächelte geheimnisvoll und doch endgültig, als sie das Quartier mit laszivem Blick, wiegender Hüfte und ohne weiteren Gruß verließ. Pearl blickte ihr oder spürte vielmehr ihren Schwingungen den Flur entlang nach. Er würde seine gewonnene Energie mit einer kurzen, erfrischenden Meditation fokussieren und sich dabei auf die vor ihm liegenden Aufgaben konzentrieren.
Für den Abend stand ein weiterer Ausflug in die Tiefen des Hochsicherheitsraumes bevor. Und davor lag wieder eine unerfreuliche Menge bürokratischen Papierkrams. Unwillkürlich flammte vor seinem inneren Auge das Abbild von Madeleine auf, die sich seit Wochen wieder in der Förderation aufhielt. Wie er diese Wahrnehmung deuten sollte, würde ihn wahrscheinlich wieder einige Zeit unbewusst beschäftigen.
Wie er seinem Spiegelbild auf einer glänzenden Fläche entnehmen konnte, hatte sich ein Lächeln auf seine Lippen gestohlen. Gestern hatte er zweifellos einen wundervollen und gar nicht profanen Abend.