Oktavius Aera Servantes 2

Es gab Tage, da machten einen diese Implantate wahnsinnig. Besonders wenn er häufigen Druck- und Temperaturwechseln ausgesetzt war.
Gerade erwischte sich Oktavius wieder dabei, wie er in Gedanken die alten Narben kratzte.

Er wurde nicht gern herbei zitiert. Von einem Gallente. Noch dazu einer Frau. Er wusste nicht, was schlimmer wog. Ihm war bewusst, dass Rassenschranken in der Corp nicht galten. Dies bedeutete dann durchaus, dass man Mitglieder einfach mied, die der alten Feindbildfraktion angehörten.
Aus irgendwelchen Gründen mochte er auch die Gallentische Architektur nicht. Ihr fehlte jeder Schmuck. OK, die Amarr mochten es eher pompös und ausladend. Verschwenderisch. Das lag ihm auch nicht sonderlich.
Aber dies grünblau schimmernde Werks hier in der Station wirkte irgendwie… steril.

In vielerlei Hinsicht mochte das aber alles auch auf Gegenseitigkeit beruhen. Der Zoll hatte ihn aufmerksam gescannt, nachdem er ins Hoheitsgebiet der Gallente einflog. Sein Verhältnis zur Fraktion war angespannt aber bislang nicht kritisch. Man ließ ihn ungehindert passieren. In seinem unbewaffneten „Leopard“-Shuttle stellte er aber auch keine Gefahr für irgendjemanden dar. Und ja, das musste man den Minmatar lassen. Sie bauten verdammt gute Fluchtvehikel. Er grinste…

Eine junge Dame trat ein und räusperte sich leise, um Oktavius‘ Aufmerksamkeit zu gewinnen. Es gelang ihr. Er blickte auf. „Bitte?“ sagte er etwas harscher als er es eigentlich wollte.
– „Madmoasell Lemmong bittad sie erein…“ Das war irgendwie niedlich. Er musste schmunzeln. Klang zwar irgendwie affektiert aber auch süß. Er lächelte die Kleine an, als er sich aus dem Sitzpolster herauswand. Sie lächelte zurück. Wenn auch etwas mechanisch oder abwesend.
Oktavius rügte sich selbst: ‚Sie könnte deine Enkelin sein, du Lustmolch!‘
Im Vorübergehen deutete er schmunzelnd eine galante Verbeugung und einen Handkuss an. Madeleines Assistentin schien überrascht und verzückt zugleich zu sein. Ihr Lächeln wurde warm und ehrlich. Er konnte es immer noch.

Die Tür schloss sich hinter ihm mit einem leisen Zischen. Madeleine stand an einem Fenster und blickte scheinbar gedankenverloren in die Dunkelheit des All hinaus. Oder aber auf die Geschäftigkeit des Hangars. Doch sie schien sich bereits gesammelt zu haben, wandte sich ihm zu und begrüßte ihn mit gewohnt freundlicher Art.
– „Willkommen Oktavius!“ sagte sie. „Ich hoffe sie hatten eine angenehme und kurzweilige Reise?“
– „Ja, danke der Nachfrage, Madeleine. Weshalb haben sie mich her zitiert?“
– „Oktavius, bitte, das klingt nicht angemessen. Ich habe sie her gebeten, da ich beunruhigende Informationen vom Büro Paara erhielt. Nehmen sie doch bitte Platz.“

Oktavius setzte sich auf eine Art Sofa und versank umgehend wieder in den Polstern. Was fanden die Gallente nur an Sitzgelegenheiten, die einen zu verschlingen drohten…
– „Oktavius, ich erhielt beunruhigende Informationen…“
– „Sie meinen sicher die Kriegserklärung der…“
– „Nein, Oktavius, es ging dabei um Sie.“
Oktavius zog die Augenbrauen verwundert hoch: „Um mich?“
Er mochte die Richtung nicht, die dieses Gespräch zu nehmen schien. Hatte ihn jemand denunziert? Ihn fälschlich einer Verfehlung beschuldigt?
– „Oktavius, ich respektiere Ihre Abstammung. Ich muss sie aber auch bitten, die unserer Mitarbeiter zu respektieren. Wir sitzen alle in einem Boot.“
– „Madeleine, ich bin mir überhaupt keiner Schuld bewusst…“
Sie hob die Hand und unterbrach Oktavius, bevor dieser erst in Wallung geriet.
– „Ich erhielt Beschwerden von Mitarbeitern aus den Reihen der Minmatar. Sie fühlen sich durch ihre besonderen Sicherheitsmaßnahmen diskriminiert.“
– „Ich habe Anlass zu der Annahme, dass diese Mitarbeiter tatsächlich ein erhöhtes Sicherheitsrisiko darstellen.“
– „Ich bitte sie doch nicht, nachlässig zu sein. Seien sie vielmehr verhältnismäßig. Wir können es uns nicht leisten, qualifizierte Mitarbeiter zu verlieren, weil sie, Oktavius, ein historisch gewachsenes Feindbild nicht auszublenden verstehen.
Ich muss Ihnen eine Ermahnung aussprechen, die auch in ihren Akten vermerkt wird. …“
– „Madeleine, sie zitieren mich hierher, nur um mir eine Rüge zu erteilen, die sie mir auch gut schriftlich hätten übermitteln können? Sie unterstellen mir, einen schlechten Job zu machen? Verzeihung meine Liebe, ich stelle meinen Rang und Titel gern zur Verfügung.“
Oktavius lief langsam rot an und hasste sich umso mehr dafür, da Madeleine so furchtbar gelassen blieb.
– „Nein,…“ sagte sie. „… mir liegen alle Mitarbeiter gleichermaßen am Herzen. Egal welcher Blutlinie sie entstammen. Ich habe sie zum CSO gemacht, weil sie dafür von allen meinen Mitarbeitern im Stab am besten geeignet waren und sind. Sie sind aus einem anderen Grunde hier.“
– „Oh…“ Oktavius lehnte sich zurück und versank prompt wieder tiefer im Polster des Sofas. „Ich höre.“
– “ Ich möchte, dass Sie mich für ein paar Stunden nach Caldari Prime begleiten. Ich muss annehmen, dass die Quartiere von Corp-Angestellten abgehört werden, wenn jene Unternehmen ihr Hauptquartier bei den Caldari haben.“
– „Und mich nennen sie paranoid?“ Oktavius musste unwillkürlich schmunzeln. Ihm war aber durchaus bewusst, wie recht Madeleine mit ihrer Annahme haben dürfte. Wertete er doch selbst regelmäßig Bänder der von Gallente und Minmatar bewohnten Quartiere des Unternehmens aus. Vorsicht war bekanntlich besser als Nachsicht.


Er vermochte sich kaum zu erinnern, wann er zuletzt einmal seinen Fuß auf einen Planeten gesetzt hatte. Dieses Gefühl unermässlicher Schwere setzte ihm zu. Er hielt sich eigentlich für fit. So fit man in seinem Alter halt sein konnte. Doch Caldari Prime schien ihn in die Knie zwingen zu wollen.
– „Geben sie mir bitte ein paar Minuten, Madeleine.“ sagte er. „Ich möchte nicht halb von ihnen getragen werden, wie ein gebrechlicher, alter Sack.“ Er fragte nicht, ob dies wirklich notwendig gewesen sei. Wusste er doch genau, dass dem so war.
Vom Spaceport waren sie einige hundert Kilometer mit einem winzigen Shuttle geflogen und in der Nähe eines Küstenstreifens gelandet. Die Sonne stand hoch, wenn auch nicht mehr im Zenit. Die Meeresbrise verschleierte ihre wärmende Kraft. Madeleine hatte ihn gebeten, eine silberhaltige Sonnenschutzemulsion mit einem Schutzfaktor nahe 100% Abschirmung aufzutragen. Der Schaden des giftigen Schwermetalls wöge weniger schwer als die relativ spontanen Hautreaktionen, wenn man Sonne nicht in dieser Form der Dosierung gewohnt war.

– „Setzen sie sich doch zu mir, Oktavius!“
– „Nehmen sie es bitte nicht persönlich, Madeleine, aber ich bleibe lieber stehen.“
– „Oktavius…“
– „Nein, es ist nur… Ich bin sicher, dass ich einmal am Boden nicht wieder von jenem los käme. Die Schwerkraft…“
– „Oh… verstehe. Nun was ich mit ihnen zu besprechen habe ist aus Sicht des Unternehmens nicht geheim aber auch nicht für jedermanns Ohren bestimmt.“
Oktavius sah sie nur schweigend an. Daher fuhr Madeleine fort.
– „Es gibt Bestrebungen, die Aktivitäten der DEIDE in die Tiefen des Alls zu tragen. Wie auch immer diese ausfallen mögen, ich würde es begrüßen, wenn sie zumindest zeitweise dort unsere Interessen vertreten würden. Ich bin mir recht sicher, dass sie, mein lieber Oktavius, diese Ãœberlegungen selbst bereits einmal angestellt haben. Zumindest würde ich mich in ihnen getäuscht haben, wäre dem nicht so.“
– „Ja, sicher. Ich bin kein Typ, der lange an einem Platz verweilt. Miglied eines bürokratischen Apparates zu sein, war nie mein Ziel.
Aber verstehen sie mich richtig, Madeleine, ich fühle mich noch nicht bereit für diesen Schritt.“
– „Fassen sie Mut und zeigen sie Präsenz. Bringen sie sich ein. Ich kann nicht ausschließen, dass dies die Chance für eine Zukunft dieser Corporation darstellen könnte. Für deren wirtschaftlichen Fortbestand.“
– „Meinen Sie nicht, dass Pearl Canopus dafür besser geeignet wäre?“ Oktavius rieb sich nachdenklich das Kinn.
– „Ich denke nicht, nein. Pearl ist ein großartiger Denker. Aber er ist kein Macher. Es nützt mir nichts einen Strategen in den tiefen Raum zu entsenden. Ich benötige ihn hier. Er ist ein wirtschaftlicher Aktivposten.“
– „Und ich bin entbehrlich?“
– „Oktavius, ich bitte sie. Sie sind ein militärischer Aktivposten. Ich hätte sie als CSO auch gern hier. Allerdings vermute ich, dass sie nur ein geringes Bedürfnis verspüren, in Luminaire oder Lustrevik zu wirken. Von Paara muss ich sie jedoch eine Zeitlang abziehen. Für einen Regionalleiter Amarr haben wir jedoch zu wenig Präsenz im Imperium. Sie würden sich nur langweilen.“
– „Madeleine, ich bin mir nicht sicher, ob ich sie gerade richtig verstehen möchte. Es klingt ein wenig nach einem Hinauskomplimentieren. Sagen sie tatsächlich gerade ‚Stationsleiter in Gosalav oder Verbindungsoffizier im tiefen Raum‘ zu mir?“
– „Oktavius, bitte missverstehen sie mich nicht… aber ja. Im Grunde ist es genau das, was ich ihnen sagen wollte. Sie haben eben eine bestimmte Art, solcherlei Dinge auf den Punkt zu bringen. Allerdings sehe ich auch die Gelegenheit darin, dass sie unsere Präsenz bei den Amarr bis in die Regionen Khanid und Devoid ausdehnen. Verschaffen sie sich dort Gehör, machen sie uns bekannt bei den Agenten der Region.
Und wann immer sich ihnen die Gelegenheit bietet, unterstützen sie unsere Mitarbeiter in den unbekannten Tiefen des Alls.“
– „Wie lange habe ich Bedenkzeit?“
Oktavius verschränkte die Arme. Was zum Henker war daran jetzt wert, sich auf irgendeinen einen Planeten in der Förderation verschleppen zu lassen. Aktivitäten im Hochsicherheitsraum waren ja für gewöhnlich nicht geheim. Wie denn auch.
– „Nehmen sie sich die Zeit, die sie brauchen, Oktavius.“
– „Warum bin ich hier, Madeleine?“
– „Ich wollte mich mit ihnen ungestört unterhalten…“
– „Warum sind wir HIER?“ Oktavius wies mit beiden Zeigefingern vor sich auf den Boden.
– „Schauen sie sich um. Die unverhüllte Schönheit…“
– „Madeleine, bitte, ich kenne sie. Sie wissen, dass ich weder ihren Sinn für Ästhetik noch den für Planeten mit spürbarer Schwerkraft teile. Also bitte, warum sind wir hier, warum bin ich HIER?“
– „Oktavius, es fällt mir schwer darum zu bitte…“ Er wartete geduldig. „…es könnte sein, dass ich im Laufe der kommenden Wochen ihr Vertrauen und ihre Loyalität auf eine harte Probe stellen muss.“ Madeleine blickte ihn irgendwie hilfesuchend an. Er nickte ihr ermunternd zu.
– „Ich habe mich unglücklicherweise von ein paar zwielichtigen Zeitgenossen in eine scheinbar ausweglose Lage bringen lassen, die mich Geld und Leben kosten könnte. Obwohl ich wahrlich kein Freund solcher Maßnahmen bin, kann ich gezwungen sein, sie in Bälde um einen heiklen Gefallen bitten zu müssen…“
– „Madeleine, wie lange kennen wir uns inzwischen? Sie haben im Sinne des Unternehmens gehandelt und wurden ausmanövriert, wie es jedem von uns schon mal ergangen ist. Sie möchten, dass ich ihren Widersacher außerhalb der Kapsel ausschalte, was der Sache eine gewisse Endgültigkeit verleiht. Daran ist nichts heikel oder anstößig. Das ist vielmehr gängige Praxis.“ Oktavius hob nur kurz die Schulter. Es war ihm wirklich gleichgültig. Er war Pragmatiker und er war Militär.
– „Oktavius, ich denke die Sachlage könnte sich als weniger eindeutig erweisen. Es handelt sich um einen Leutnant der Imperial Navy. Und genau genommen habe ich ihn betrogen.“
– „Madeleine, ihr Gewissen in Ehren. Sie haben im Sinne und zum Wohl der DEIDE gehandelt. Ich habe der DEIDE meine Treue geschworen und wurde durch sie mit der Verantwortung einer Führungsposition betraut. Es ist meine Bestimmung, Loyalität gegen jeden äußeren Feind zu beweisen. Und dies werde ich tun. Das ist eine Frage der Ehre.“
– „Sie ahnen gar nicht, wie erleichtert ich bin, dass sie das so sehen. Es wird weitere Schach- und Winkelzüge in unserer Politik geben müssen. Nicht jeden kann ich im Vorfeld mit allen diskutieren. Ich danke ihnen für ihren Beistand.“
Oktavius breitete die Arme etwas aus.
– „Was haben sie erwartet? Ich stehe zu ihnen und zur DEIDE. Das gilt auch dann, wenn sie mich wahrscheinlich mit Recht kritisieren. Ich bin schon sehr, sehr lange kein kleines, quängelndes Kind mehr.“

Als sie zum Flyer zurück gingen, lief Madeleine voraus. Oktavius war halt nicht sehr gut zu Fuß. Sie lächelte versonnen. Sicherlich hätte sie Oktavius alles auch schriftlich auftragen können. Dann wäre es aber nichts gewesen, was er hätte unbedingt tun wollen.
Doch weil sie so schnell voraus ging, konnte sie auch das verschmitzte Lächeln auf Oktavius Lippen nicht wahrnehmen. War er doch nicht aus der Sklaverei entkommen und über 60 Jahre alt geworden, ohne wenigstens ein kleines bisschen an Lebensweisheit zu gewinnen. Oh, ja, Madeleine war liebenswert… für eine Gallente… und clever. Er wollte ganz sicher nicht ihr Feind sein.