1. Kapitel

– Scheiß Wetter!, schimpfend schlug Charlie den verschlissenen Kragen seiner Kutte auf. Die Straße war menschenleer, die flimmerden Reklamen spiegelten sich auf dem Asphalt.
-Total für’n Arsch, die ganze Flimmerei., fluchte er. Wenn er etwas auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann war es der kalte Regen Londons.
– Jetzt ’ne Million und ab nach’m Süden.
-Stellste dir schnieke vor, hm mein Junge?, wisperte eine verschnupfte Fistelstimme hinter ihm.
Charlie drehte sich langsam um.
– Joe, du alte Pistole. Belauschst du immer anderer Leute Selbstgespräche?
– Aber Charlie… Wenn du die ganze Straße dazu einlädst mitzuhören., Joe verzog sein Gesicht zu einem diabolischen Grinsen mit einem nahezu zahnlosen Mund. Er war groß aber spindeldürr. Ein notorisches Windspiel sozusagen. Charlie frotzelte ihn gern damit.
– Na Joe, welcher Wind hat dich diesmal durch die schwedischen Gardinen“ geweht?
– Ach… weißt du Charlie… So ’ne alte Fregatte wollte mir partout nix von ihren Klunkers ablassen., sein Grinsen wurde noch breiter, sodaß seine Ohren in den Mundwinkeln zu verschwinden drohten. – Sie meinte die Kollektion gehöre zusammen, da brachte ich es halt nicht übers Herz ein Einzelstück an mich zu nehmen., Joe legte eine Kunstpause ein: – Ich mußte sie alle nehmen.
Sie lachten lauthals, daß es durch die Straßen widerhallte. Entfernt bellte ein Köter seine Bitte um Ruhe in die Welt.
– Und wie bist du dann im Knast gelandet?, Charlie war neugierig, wie es Joe diesmal wieder geschafft hatte, ein warmes Winterquartier zu finden.
– An der Haustür stand ihr Gatte mit einer Schrotflinte und bat mich in recht rüdem Ton, ihm den Schmuck doch bitte auszuhändigen. Naja, Mackenzies Nummer habe ich ja im Kopf. Ich bat den alten Schnarchsack also, die Polizei rufen zu dürfen, was er mir gnadenlos desorientiert gestattete. Mackenzie kam diesmal sogar selbst. Er meinte mein Jubiläum wolle er sich nicht entgehen lassen. Das 25. Mal., Und wieder brach ein Lachen aus ihnen hervor.
Joe mochte etwa Ende vierzig sein. Sein Aussehen glich den Karikaturen in der Times“.
– Und du mein Junge?, wollte Joe wissen – Was hast du so getrieben?
– Tja, ich war nicht so glücklich dran. Bekam im November vier Wochen und wurde ohne Aklimatisierung in den Winter entlassen. Einfach furchtbar. Bis eben ärgerte ich mich über’s Wetter. Hoffentlich wird’s bald Frühling. Die Touristen bringen die fette Beute… Aber ehrlich, Euro- und Traveller-Schecks sind doch eine saublöde Erfindung, meinst du nicht auch?, Charlie sah Joe grinsend an. Dieser entblößte auch wieder seine letzten gelben Stummel, die recht ungleichmäßig und ungerecht in seiner Kauleiste verteilt waren.
– American Express, der Feind des ehrlichen Ganoven., Joe konnte nicht mehr an sich halten und beide prusteten erneut los.
– Charlie, was du da vorhin sagtest, von wegen die Mäuse und ab in den Süden…
– Ja… was ist damit?
– Meinst du das ernst?
– Klar, warum nicht? Jetzt sind wir mal dran mit Geld ausgeben. Auf nach Spanien, Afrika, Australien…
– Südpol!, ergänzte Joe.
– Was?
– Südpol!, wiederholte sein Gegenüber.
– Wieso Südpol?, Charlie war einigermaßen verwirrt. Was wollte der alte Zausel mit dem dämlichen Südpol?
– Südlicher geht’s nicht.
– War doch ziemlich kalt da oder?
– Ja, ziemlich.
– Mann, bist du gebildet Professorchen.
Joe grinste erneut über dieses Kompliment. Offenbar konnte er dies am besten.
– Wie steht’s nun mit dem Geldverdienen?, fragte er.
– Das schnelle?, Charlie blickte ihn fragend an.
– Klar. Irgendein Laden und hopp, hopp, ab nach Spanien.
– Toll, aber welchen? Den Supermarkt an der Ecke da drüben haben Murmel und seine Gang erst neulich ausgeräumt. Alles Schecks und so. Schmuck geht auch nicht, wer soll den verhökern…, Charlie kratzte sich am Kinn, während Joe ihn belustigt musterte: – ’n großer Laden möchte’s aber schon sein, sonst reicht es nicht mal für die Underground bis zum Flughafen, Geschweige denn bis Spanien…
– Charlie, mein Lieber, du bist jung und unerfahren., das Klappergestell spielte mal wieder Daddy: – Verlaß‘ dich auf den alten Joe, der weiß wie’s läuft. ’s ist gleich zehn, also haben ein paar kleine Läden noch offen. Dort sparen wir uns den Knack und kassieren gleich.
– Ich weiß nicht. Die erkennen einen doch.
– Laß‘ mich nur machen. Im Notfall weiß keiner etwas vom anderen. Nun mein Plan…
So schlenderten sie, bis ihnen ein kleiner Tabakladen auffiel. Joe stieß Charlie in die Seite, sodaß dessen Aufmerksamkeit dahin gelenkt wurde.
Gemächlich und vornübergebeugt betrat Joe den Laden. Er sah so noch älter aus, als er ohnedies war.
– Mann, Papa!, Charlie lief hinter ihm her, innerlich lachend. – Der Arzt hat dir das Rauchen doch verboten.
Er vermied es, den Verkäufer direkt anzusehen, dem das schelmische Blitzen seiner Augen mit Sicherheit aufgefallen wäre. Charlie war noch nie ein besonders guter Schauspieler, aber was tat man nicht alles für das liebe Geld.
Plötzlich knickten Joes Knie ein und er röchelte herzerweichend und vor allem täuschend echt. Nun war sich Charlie nicht ganz sicher, ob es nicht vielleicht doch mit Joe zu Ende ging.
– Papa! Oh… Papa!, Charlie brach regelrecht in Tränen aus und er schrie den Verkäufer an:
– Schnell Chef, einen Arzt, das Herz… oh, …Papa, er stirbt, schnell!, Der angesprochene stürzte direkt ins Hinterzimmer, um alle notwendigen Anrufe zu tätigen.
– So einfach hatte ich mir das gar nicht vorgestellt, Joe., flüsterte Charlie dem plötzlich Genesenen zu, während er die Kasse ausräumte.
Als der Ladenbesitzer wenige Minuten später zurückkam, war er um 15 Pfund ärmer, was Charlie ein paar Ecken weiter bestürzt feststellte.
– Das ist keine Flugreise, Joe…, resignierte er.
– Wohl wahr, also weiter.
– Nee Joe. Das war genug Spaß für eine Nacht. Außerdem ist es zehn durch. Was machen wir jetzt?
– Schlafen geh’n Charlie.
Anschwellendes Sirenengeräusch ließ sie in Laufschritt verfallen. Joe hielt nicht lange mit.
– Mach weiter, …, Charlie, …, verschwinde!
– Und du?
– Nimm meinen Anteil, …, und verschwinde. Ich komm schon durch…!
Charlie rannte los und fast einen Kollegen über den Haufen, der ihm daraufhin ein ziemlich großes Kaliber mit kurzem Lauf unter die Nase hielt.
– Wie wär’s mit ein paar Piepen, hä?, brummte er.
– Aber Kollege, wer wird denn…
– Ich laß mich nicht beleidigen, Du Fatzke…. was heißt hier Kollege? Hä?
– Weil ich gerade einen Laden gekappt habe…
– Also bist du flüssig?
– Halbe, halbe!, bot Charlie an. Der Bursche grinste nur. Dieses Grinsen erschien Charlie aber nur einen Bruchteil so angenehm, wie Joe’s zahnloses.
– Wieviel hast du?
– Zehn Pfund., log Charlie.
– Du Arsch. Einen Laden geweißt und nur zehn Pfund?… Ich nehm‘ auch alles. Also? Her damit!
– Du kannst doch nicht…. Ich habe es verdient… Im Schweiße meiner noch qualmenden Socken…, Sein Widerpart hatte offensichtlich keinen Sinn für britische Traditionen und den dazugehörenden Humor.
– Wieviel?, fragte der kleine Würger und drückte dabei den Colt noch bedrohlicher unter Charlies Kinn.
– Fünfzehn…, gestand Charlie., – wirklich! Mehr war’s nicht.
– Das soll ich glauben?, Charlie deutete ein Nicken an.
– Untersuch mich!
– Quatsch, her damit!, der Kleine fluchte., – Ich muß halt wieder auf die Underground umsteigen.
– Wieso Underground?, Charlie legte zwar keinen gesteigerten Wert auf eine Unterhaltung, war aber doch neugierig.
– Hier oben ist nichts mehr zu holen. Fünfzehn lumpige Pfund. Dafür riskierst du, geschnappt zu werden?, Charlie zuckte die Schultern.
Der Kleine konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
– Armer Irrer. Du bringst es nie zu ‚was. Vergiß den Job. Fünfzehn Pfund. Hast du eine Vorstellung davon, was eine Monatskarte für die Underground kostet?
Charlie stutzte: – Wieso Monatskarte?
– Na hör‘ mal! Schließlich bin ich doch anständig…
Die eben noch bestehende Lebensgefahr vergessend prustete Charlie los. Sein Gegenüber, sich nicht ganz im Klaren, was er eigentlich gesagt hatte, stimmte nachhaltig in das Gelächter ein.