2. Kapitel

– Liebe Trauergemeinde. So übergeben wir hier nun einen Mann in geweihte Erde, der immer nur gutes tat, wo auch immer er auftrat. Gedenken wir seiner in diesen schweren Augenblicken, da er von uns gegangen ist. Gedenken wir seiner Standhaftigkeit gegenüber den Versuchungen des Fleisches.
Wenn er auch niemanden hinterließ, so werden wir doch sein Erbe fortführen, seinen unermüdlichen Kampf gegen Unrecht und Sünde und jede unrechte Tat vor Gott sühnen. Bis in sein zweites Leben in göttlicheren Gefilden folgte ihm die Idee, mit seinem Ableben all jenen zu dienen, die sein Lebenswerk vollenden werden, sein Heim frei von der Versuchung und der Sündhaftigkeit zu halten.
Übergeben wir nun den Körper in die Obhut Gottes. Asche zu Asche, Staub zu Staub, im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen.
– Amen!, hallte es verhalten aus der schwarzen Menge zurück.
Etwas abseits tuschelte ein Pärchen, dem das Ableben eines großen Gönners nicht ganz so nah zu gehen schien.
– Ob der alte Zausel wirklich so asketisch lebte? Was meinst du, William?
– Ich weiß es nicht zu sagen, Beatrice, in diesem gottverdammten Nest nehmen die Leute doch abends die Hütten rein. Wie sollte der Alte hier eine finden? Irgendein schottisches Tatterweibchen?, William mußte über seine Bemerkung selbst schmunzeln.
Beatrice mißfiel dies offenbar:- William, du bist geschmacklos. Das ziemt sich nicht. Wir sind schließlich seine nächsten Bekannten. Als Nachbarn. Oder etwa nicht?
– Du spielst auf das Erbe an?
– Naja. Er konnte doch nichts ausgeben…
– Weißt du Beatrice, der Alte mußte in der Tat ein, verzeih‘ den Ausdruck, reiches Aas gewesen sein. Bis auf ein paar Stiftungen wurde er kein Geld los, lebte zurückgezogen…
– Du meinst also auch… Er vererbt uns was?
– Warum nicht. Er hinterließ doch niemanden, oder?

***

РWerte Anwesende!, hob der Notar an, Рkommen wir nun zur Testamentser̦ffnung unseres teuren Verblichenen, Sir Arthur., Der Notar blickte kurz in die Runde und begann zu lesen, nachdem er das Papier feierlich entfaltet hatte.
– Ich der unterzeichnende Sir Arthur Glenwood George Fearnsworth, Lord of Hingsley und Clayton, bestätige hiermit im Vollbesitz meiner körperlichen und geistigen Kräfte zu sein.
Zu meinem Leidwesen muß ich gestehen, nicht immer ein sündenfreies Leben geführt zu haben. Leichtsinn meinerseits ließ es zu, daß ich der Versuchung einer jungen schönen Frau erlag, mit der ich einen gemeinsamen Sohn zeugte, Charles., Ein Raunen unverhohlener Überraschung erfüllte den Raum.
Der Notar ließ sich davon nicht beirren: – Seine Mutter hatte, trotz ihres Wissens um meinen Wohlstand nie für sich oder den Jungen Geld erbeten. Meine gesellschaftliche Stellung verbot mir, mich angemessen um meinen Sohn kümmern zu können, was ich heute zutiefst bereue. Obwohl ich annehme, daß mir dieser Sündenfall von Gott nachgesehen wird, kann ich mir meine Schande, nicht zu meiner Liebe und ihrem Lohn gestanden zu haben im nachhinein nicht vergeben.
Ich stehe tief in der Schuld meines Sohnes und seiner verstorbenen Mutter, Gladis Harvet. Sie starb, als der Junge noch nicht einmal 5 Jahre alt war, an einer unheilbaren Krankheit. Somit verlor ich auch den Kontakt zu meinem Sohn.
Ohne anzunehmen, daß irgendwas in der Lage sein wird, dessen erlittene Schmach wettmachen zu können, möchte ich aber wenigstens jetzt alles tun, um ein klein wenig wiedergutzumachen.
Ich, Sir Arthur Glenwood George Fearnsworth, erkläre hiermit meinen Sohn, Charles Harvet, zu meinem alleinigen Erben…,
Der Notar, der letztlich wußte, was noch kommen würde, verursachte an dieser verhängnisvollen Stelle eine Kunstpause, um das Gesagte in seiner ganzen Tragweite erfaßbar zu machen. Er blickte reihum in erbleichte Gesichter. So hatten diese Speichellecker genau das bekommen, was ihnen zustand. Es lebe Sir Arthur! Bevor er weiterlas, mußte er sich sammeln, um sein Schmunzeln nicht an die Oberfläche seiner geschulten Mimik spülen zu lassen.
– Dieser undankbare Egoist!, zischte Beatrice wütend.
Sowohl William als auch der kirchliche Vertreter machten zum Notar hin eine einladende Handbewegung, mit dem Lesen fortzufahren, was dieser dann auch tat:
– …meinem alleinigen Erben des Titels, der Ländereien in Südamerika, Indien Afrika und dem Vereinten Königreich, meines sonstigen Besitzes und Vermögens.
Der mir stets treu beistehenden Kirche überlasse ich eine Million Pfund Sterling zur Rekonstruktion der heiligen Stätten…, Das Gesicht des Paters hellte mit sichtlicher Erleichterung auf.; – und meinen lieben Nachbarn, Lady Beatrice und Sir William Mainlay, hinterlasse ich als Trostpflaster meine Kohlengruben im schottischen Tiefland., Die Gesichter der eben beschenkten leuchteten keineswegs.
– Der alte Schlawiner vermacht uns ein paar ausgekohlte Minen und überläßt uns die Abfindung der Angestellten. Außerdem wird dort seit fast einem ganzen Monat gestreikt., Beatrice war schier außer sich vor Wut.
– Meine liebe Beatrice!, lenkte William ein,: – Offenbar sind wir ihm auf den Wecker gefallen…, William grinste scheinbar grundlos.: – Der Alte war doch nicht so senil, wie du gedacht hast., Er lachte kurz auf.
Der Notar bemühte sich noch einige Male, die letzten Sätze vortragen zu dürfen, erhielt aber dazu keine Gelegenheit mehr, da das Gemurmel schon fast zum Geschrei anschwoll. So klemmte er seine Mappe unter den Arm und verließ den Raum überraschender Verkündungen.
Nun auch für ihn hatte Sir Arthur damals diese Ãœberraschung parat, als er sein Testament diktierte. Der Lord versuchte seit inzwischen zwei Jahren, seinen Sohn ausfindig zu machen. Falls dies nicht gelingen sollte oder sein Sohn vielleicht gar nicht mehr lebte, würde die Erbschaftsangelegenheit eine ganz neue Wendung nehmen. Dies wußte er und wahrscheinlich auch ein großer Teil der Erbschleicher da draußen. Aus diesem Grunde hoffte er inständig, diesen Charles Harvet doch noch zu finden. Das Testament Sir Arthurs enthielt noch einige Spielregeln, wie mit seinem Erben zu verfahren sei, wenn er gefunden würde… Aber dies alles setzte voraus, daß er auffindbar war.
Beatrice schäumte vor Wut: – Wer zum Teufel ist dieser ominöse Charles Harvet und wo steckt er?