3. Kapitel

– Du, Charlie!, Joe stieß den schläfrigen Kumpan an.
– was ist denn los?, maulte der Gerempelte leise, – Laß mich in Ruhe! Ich träume gerade von meiner Million, die ich an der Cote d’Azur verplempere.
– Mann Charlie, du verplemperst gleich etwas ganz anderes…, Joe rempelte gnadenlos weiter und preßte aus dem Mundwinkel das Zauberwort, das Charlie sofort in die Wirklichkeit zurückriß: – Ein Bobby!
Beide nahmen ihre Habseligkeiten auf und tippelten Richtung City. Der Spießgeselle, der Charlie am Vorabend beinahe wegen 15 Pfund ins Jenseits befördert hätte, war vor einiger Zeit mit dem Geld losgezogen, um etwas eßbares zu finden. Seine Suche schien nicht von Erfolg gekrönt, denn sie sahen ihn nie wieder.
– Bei meiner Ganovenehre, wenn der mir noch einmal zwischen die Finger kommt, dann…, dann…, Charlie gestikulierte in den verschiedensten Formen imaginäre Hinrichtungen.
– Dann gibst du ihm wieder unser Geld., setze Joe fort. Sie lachten beide, wenn auch nur, um das stetig anschwellende Magenknurren zu übertönen.
Ein Zeitungsjunge rannte schreiend über die Straße. Er brüllte die geläufigen Schlagzeilen. Eine davon beunruhigte Charlie aber doch: Charles Harvet gesucht.
– Nein, mich können die nicht meinen., Ein 15-Pfund-Bruch ging noch nie durch die Presse, zumindest nicht außerhalb des Sommerlochs auf der ersten Seite. Er verdrehte die Augen. So ein unbeschreiblicher Unsinn. Es mußte hunderte Charles Harvet geben, wieso fühlte er sich dann eigentlich angesprochen. In Gedanken winkte er ab.
– Vielleicht möchte Dir auch nur jemand deine Million schenken…, Joe bleckte seine Stummel zum berühmten Grinsen.
РDu meinst man hat mich erh̦rt? Da oder da?, er wies einmal in Richtung Himmel und danach auf den Boden.
Wieder lachten sie.

***

– Sergeant Bixby!
РJa, Chef?, der Angesprochene sah von seinem nervțtenden Schreibkram auf.
– Haben Sie etwas hinsichtlich der Fahn…, ehm, der Suche nach dem Millionenerben herausfinden können?
– Oh!, Bixby stutzte, – Ist das jetzt Chefsache?
– Ja, eh… nein, eher nein. Egal. Was wissen Sie?
– Nun in unseren Akten allein hier in London sind zwei Charles Harvet registriert. Suchen wir etwa einen von denen?
– Wer weiß…, Mackenzie kratzte sich grübelnd am Kinn.
– Kleine Ganoven, nichts außergewöhnliches. Beide sind im Waisenhaus aufgewachsen und bilderbuchgerecht in die falsche Gesellschaft geraten.
Ladendiebstahl, Landstreicherei, Mundraub. Gangster der alten Schule, keine fuchsteufelswilden Ballerheinis, wie sie unsere Straßen im unsicherer machen. Einer sitzt in unserem örtlichen Gästehaus, der andere ist mal eben auf Knasturlaub.
РKnasturlaub?, der Kommissar sah Bixby verwundert an, zumal er auch nur mit halben Ohr zugeh̦rt hatte.
– Nein, eigentlich ist er auf freiem Fuße. Aber ich nenne das bei den notorischen Knastbrüdern halt so.
Mackenzie mußte auch unwillkürlich schmunzeln. So hatte er es noch gar nicht betrachtet. Auch zu seiner Clientel gehören viele Gewohnheitstäter, die nur entlassen werden, weil eben kein Platz in den Strafvollzugseinrichtungen ist.
Zur Verhaftung dieses Joseph Browning z.B. hatte er sich sogar persönlich aufgemacht, nachdem ihn ebendieser aus dem Hause eines Geschäftsmannes anrief, der offenbar fassungslos daneben gestanden hatte. Zum 25. Mal hatte er, Walter Mackenzie, den Kleptomanen persönlich festgenommen.
– Moment mal!, Mackenzie schlug sich vor die Stirn, – mit diesem Joseph Browning hängt doch auch immer ein Charles… Irgendwer rum. Bixby, prüfen sie den. Oder haben sie ihn in den Akten?
– Das glaube ich schon. Wer mit Joe verkehrt, ist auch bei uns kein unbeschriebenes Blatt. Ich gehe davon aus, daß dies der zweite Charles Harvet aus meinen Unterlagen ist. Seine Mutter starb an Leukämie, als Harvet noch ein Kind war.
– Wie alt ist er?, Mackenzie wurde neugierig.
– Vierunddreißig. Sein Alter paßt auf die testamentarischen Angaben.
– Wie sieht es mit dem zweiten aus?, für den Kommissar stand aber schon fest, daß er heute erheblich mehr Spaß haben würde, als die üblichen Tage…
– Einundsechzig.
– Der dürfte dann wohl ausscheiden… Bixby, nehmen sie sich einen Streifenwagen und schaffen sie mir den Mann ran, aber Bixby…, Er sah den Sergeant mit schelmischem Blitzen in den Augen an.: – Kein Wort zum Delinquenten.
Man verstand sich wortlos.
– OK, Chef, sie sollen ihn haben… Tod oder lebendig!
– Lebendig, lieber Bixby, lebendig.
Schallendes Gelächter durchzog die sonst so heiligen Hallen des Scotland Yard.

***

– Du Joe!
– Hm?
– Wo bekommen wir jetzt irgendwas zu beißen her? Ich habe einen unglaublichen Knast.
– Hör mir vorerst bloß mit Knast auf!, Joe grinste geheimnisvoll.- Ich habe doch noch etwas in der Tasche…
– Das sagst du erst jetzt?, Charlie leckte sich schon die Lippen, als Joe eine wenig nahrhafte Blindenbrille aus seinen zerschlissenen Kleidern zauberte. Er band sich nun das linke Bein rauf und setzte den alten Stab aus dem Handgepäck direkt am Knie an.
– Eine milde Gabe für einen Kriegsversehrten…, Joe sah verteufelt echt und elendig aus. Ein Könner seines Faches eben.
– Du kannst das, Joe. Aber ob es uns satt macht?, Charles verzog etwas ungläubig den Mund: – Die Masche ist ja älter als die Steinzeit.
– Es strengt auf alle Fälle nicht so an wie arbeiten.
So alt wie Joe in diesem Moment aussah, würde er bei seinem Lebenswandel vermutlich nie werden. Dieser Gedanke brachte Charlie zum Lachen während Joe begann, seine Talente an der breiten Masse zu testen.
Binnen zehn Minuten hatte er zwei Hot-Dogs verdient. Die anderen beiden organisierte er während Charlie umständlich bezahlte und den Standbesitzer dabei fast zur Raserei brachte. Nebenbei fielen noch zwei Pfund aus der Kasse selbst ab.
РJoe, du bist ein verkanntes Genie!, frotzelte Charlie mit vollem Munde: РDu geh̦rst ins Theater oder ins Showbusiness.
Showbusiness sprach er bewußt falsch Schoobusinesse aus, was nun seinerseits Joe überdurchschnittlich erheiterte.
– Mit meiner Million kaufe ich dir ein Theater, Joe.
– Das geht pleite, wetten?

Gegen Abend verzogen sie sich in die alten Docks.
– Hier haben die irgendwo ’nen alten Schrottcontainer hingestellt…, Charles blickte sich suchend um, bis sein geschultes Auge das Zielobjekt erfaßte.
Die Verriegelung schnappte zurück und er konnte eine Türhälfte öffnen.
– ’s soll wieder regnen diese Nacht., meinte Joe.
– Ach ja? Woher hast du diese Weisheit, oh gelehrter Joseph?, Charlie grinste müde.
– Olle Jim aus’m Kartäuschen hat’s mir gesagt.
– Und wo weiß der das her?
– Seine Mutter hat wieder so ein Zwicken im Bauch…
– Wird vielleicht wieder Mama…
– Quatsch, die ist zweiundfünfzig.
– Na und?
– Ach, laß ab, das verstehst Du nicht, Charlie. Hau dich aufs Ohr! Aber leise…
Wieder mußten beide glucksend lachen.