Eine neue Welt 2

Seinen anders lautenden Erwartungen zum Trotz meldete sich das Interkom vom Außenschott schon nach einer halben Stunde. Ein Konsul der planetaren Regierung und ein diplomatischer Vertreter einer anderen Fraktion baten um eine Unterredung.
Das war neu. Brin hatte dergleichen noch auf keiner Welt erlebt, die Martians als feindlich einstufen. Verwechselten sie seine Kooperationsbereitschaft im vorliegenden Einzelfall mit einem Freundschaftsangebot. Dann würde er sie enttäuschen müssen.
„Captain Stenyard?“ fragte eine leicht nasal klingende Frauenstimme über das Intercom.
„Ja, bitte, treten Sie ein!“ sagte Stenyard. „Sie finden mich im Salon. Er befindet sich direkt gegenüber der Hauptschleuse und ist nicht zu verfehlen.“

Die Tür glitt summend auf und die Gäste betraten mit vorsichtigen Bewegungen das Schiff. Der Salon war in der Tat leicht zu finden und erinnerte in seiner Ausstattung an einen römischen Wohnraum. Kissen, ein niedriger, großer Tisch. Groß aufgetafelt hatte ihr Gastgeber allerdings nicht.
„Ich hätte Ihnen gern etwas angeboten, Miss…?“ sagte Stenyard.
„Konsul Lana Geser.“ Korrigierte ihn sein Gast.
„Miss Geser. Es ist mir eine Freude, sie kennenzulernen. Wie ich schon sagte, ich hätte ihnen gern etwas angeboten, doch es ist mir versagt worden…“
Konsul Geser machte eine wegwerfende Handbewegung: „Verschwenden wir keine Zeit mit falscher Höflichkeit, Captain Stenyard.“
Sie kam direkt zur Sache. Das gefiel ihm. Er lehnte sich auf dem flachen Diwan wieder zurück, schlug die Beine übereinander und bedachte die Konsulin mit einem interessierten Blick. Zumindest hoffte er, dass sein Gegenüber diesen Blick so interpretieren würde.
„Ok, Konsul, dann direkt zum Geschäftlichen. Wer ist ihr hoffnungslos gelangweilter Begleiter?“
Nicht einmal diese direkt beleidigende Bezeichnung nötigte den untersetzten, kahlköpfigen Mann zu einer Gemütsregung. Der durch und durch gelangweilte Blick ins Leere blieb. Diese ganze Erscheinung konnte nur eines bedeuten…
„Captain Stenyard, mein Begleiter ist Prof. Dr. Kora, diplomatischer Abgesandter der…“
„Skolari.“ Unterbrach sie Stenyard lächelnd. „Niemand sonst kann mein Schiff derart gefühlsneutral betrachten.“ Brins Grinsen wuchs.
„Ja, Captain, von den Skolari.“ Konsul Geser lächelte nicht. Zu schade, dachte Stenyard.
„Mr. Stenyard, Captain, wir bitten Sie, unser Angebot wohl zu überlegen. Wir nähmen es Ihnen nicht übel, falls sie ablehnten, es könnte sich allerdings rein theoretisch negativ auf die Liegedauer Ihres Schiffes auswirken.“
„Liebste Lana, ich habe mich schon auf eine so lange Liegezeit eingerichtet, dass ich womöglich Ihrer Unterstützung gar nicht mehr bedarf. Dann schaffen es meine Nanniten auch alleine. Was glauben Sie, mir anbieten zu können, was mein Interesse an einer Zusammenarbeit wecken könnte?“ sagte der Captain.
Konsul Geser antwortete ohne auf den verbalen Angriff einzugehen: „Wir bieten Ihnen einen Freibrief für 20 taradorische Welten.“
Stenyard schluckte, lehnte sich nach vorn und stützte seine Ellebogen auf seine Knie.
„Verstehe ich Sie richtig, Konsul Geser? Sie verraten und verkaufen 20 taradorische Welten an mich? Plündern, brandschatzen und zerstören? Einen Freibrief?“
Lana Geser lächelte. „Ja, im Prinzip ist das richtig.“ Sie genoss die Verblüffung ihres Gegenübers.
„OK, wo ist der Haken, Konsul?“ fragte Brin.
„Natürlich liefern wir unsere Welten nicht willkürlich Piraten aus, ohne eine Gegenleistung zu verlangen, die dies unmöglich machte.“ Sagte Geser und fuhr fort: „Da wir Sie aber nicht als einen Piraten sondern vielmehr als Söldner betrachten, gehen wir davon aus, dass Sie und ihr Schiff käuflich sind. Und unser Angebot liegt auf dem Tisch. Doch dies ist nicht alles…“
„Oh, es geht noch weiter? Einen Freibrief für einen Martian und noch einen Bonus oben drauf? Ihr seid wahrlich ein Ausbund an Großzügigkeit. Den Haken hätte ich gern erfahren, Frau Konsul.“
„Captain, ich komme gleich zu unserer bescheidenen Bitte…“
Brin holte Luft, um Lana Geser erneut in die Parade zu fahren und ihr an den Kopf zu werfen, dass ihre Bitte beim vorliegenden Angebot kaum sehr bescheiden sein könne. Sie hob nur die Hand und sprach unbeeindruckt weiter: „Die Skolari…“ Sie wies auf ihren noch immer völlig regungslosen Begleiter. „…unterbreiten ihrerseits ebenfalls ein Angebot, da sie sich am Plan zu beteiligen gedenken.“
Dr. Kora sah Brin direkt in die Augen. Er blinzelte nicht und wirkte starr.
„Lieber Captain Stenyard!“ sagte Dr. Kora in einem bezeichnend gelangweilten Tonfall, der keinerlei Gemütsregungen erkennen ließ. „Sie versuchen mich und meine Gefühlswelt seit einigen Minuten zu ergründen. Das kann Ihnen nicht gelingen, Mr. Stenyard, denn ich besitze keine Gefühle. Ich gehöre zur diplomatischen Modellreihe 34.“
Der Captain schluckte. Bisher hatte er noch nie persönlich mit Androiden zu tun gehabt. Brin machte eine lässige, kreisende Handbewegung, die den Androiden zum Weitersprechen veranlassen sollte. Dies tat er.
„Captain, menschliche Wesen können vor mir keine Geheimnisse haben. Ich dachte mir, dass Sie bislang nicht mit Meinesgleichen zu tun hatten und verstehe Ihre Überraschung. Dessen ungeachtet möchte ich Ihnen das offizielle Angebot der Skolari übermitteln.
Die Skolari bieten Ihnen im Gegenzug für Ihre im Nachgang von Konsul Geser zu definierende Beteiligung am taradorischen Plan die Ausstattung Ihres Schiffes mit der aktuellsten, uns zur Verfügung stehenden Hard- und Software, eine Auffrischung der Nannitenpopulation an Bord Ihres Schiffes und einen Freibrief für den Erwerb jeglicher skolarischer Technologie innerhalb der kommenden 2 Jahre.“

Captain Stenyard stand der Mund offen, während er verständnislos, langsam den Kopf schüttelte. Was konnte eine solche Stange Geldes wert sein. Für einen solchen Gegenwert hätte er Großeltern, Eltern und Kinder verkauft und die halbe Galaxis entvölkert. Nunja, nicht wirklich. Schließlich besaß er Ehrgefühl. Doch seine Loyalität war käuflich. Nein, eigentlich auch nicht. Er war nur sich selbst treu.
Stenyard lehnte sich erneut zurück, sah zuerst den Androiden, dann Konsul Geser an, atmete tief durch und sagte: „Nichts was ich in diesem Universum leisten könnte, ist eine solche Gegenleistung Ihrerseits wert. Wo, liebe Lana, wo ist der verdammte Haken?“
Konsul Geser lächelte noch immer und sagte: „Brauchen Sie Bedenkzeit?“
Brin lachte laut auf. „Verdammt, nein, die brauch ich nicht. Ich kann nur ablehnen, denn ich kenne keine, ehrenvolle Aufgabe für einen Martian, die Ihr Angebot auch nur andeutungsweise aufwiegen kann. Und da ich Ihren Preis nun kenne, würde ich mich auch nie mit weniger zufrieden geben.“
Konsul Geser setzte einen Blick auf, der alles und nichts bedeuten konnte. Sie erhob sich. Dr. Kora folgte ihrem Beispiel. „Captain Stenyard, ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft. Darf ich davon ausgehen, dass Sie als Gegenleistung auch nicht mehr fordern wollen?“
„Beim Mars, Konsul, ihr Gebot ist schon zu hoch. Ich wünsche Ihnen Glück dabei, einen anderen für den Job zu finden.“ Stenyard hielt ihr seine Hand hin. Konsul Geser blickte nur kurz nach jener, deutete eine Verbeugung an, die mehr im Blickkontakt als physisch erfolgte. Dem Androiden reichte er seine Hand nicht. Skolari verabscheuten Körperkontakt. Seine höfliche Verbeugung erwiderte der Android in gleicher Weise.
„Captain Stenyard, ich bin sicher wir werden uns wiedersehen und voneinander hören.“, sagte Lana Geser.
„Nun, Lana, falls ihr nicht vorhaben solltet, mich alternativ hier auszuhungern oder wochenlang auf eine Reparatur warten zu lassen, bezweifele ich das sehr.“, antwortete Brin.
„Nichts dergleichen, Captain. Die Reparaturarbeiten beginnen, sobald unser Flaggschiff aus dem Dock ist.“, sagte Geser. „Wollen Sie es eventuell besichtigen?“
„Lana!“, sagte Stenyard, „Ich kann sie tatsächlich nicht durchschauen. Martian und Taradori haben für gewöhnlich nichts, was sie freiwillig miteinander teilen würden. Was soll dieses verdammte Schmierentheater?“ Stenyard wurde ungehalten.
Lana Geser erhielt ihr unnahbares, geheimnisvolles Lächeln aufrecht und sagte: „Captain, Brin, Glaube versetzt Berge. Wir glauben an die Prophezeiung. Uns ist bewusst, dass sie uns viel abverlangen und kosten wird. Und wir wissen, dass wir denjenigen gefunden haben, der uns in dieser Prophezeiung versprochen wurde. Sie wissen es nur noch nicht, Captain. Gute Nacht, Brin Stenyard, Krieger des Mars.“
Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ den Salon samt dem Androiden zwei Schritt hinter ihr. Als Brin Luft holte, um ihr noch eine Frage zur Prophezeiung hinterher zu schicken, hob sie nur den Arm mit der flachen Hand und deutete ein Winken an.
Nunja. Das hieß zweifellos ‚Auf Wiedersehen‘. Ja, sie würden sich wiedersehen. Nicht unbedingt, weil er es wollte. Ja, Lana Geser war eine attraktive Frau, deren Gesellschaft er sicherlich genießen würde. Der Schatten eines lüsternen Grinsens huschte über sein Gesicht. Und sie würde zu ihm kommen. Zu dumm, dass er keinen Sonderpreis ausgehandelt hatte. Egal, diese Chance bestand noch immer. Das Grinsen kehrte zurück und fühlte sich in Stenyards Gesicht offenbar eine Zeitlang wohl. Eine lange Zeit lang.