Eine neue Welt 3

Brin wälzte sich in seiner Koje herum und versuchte vergeblich, Schlaf zu finden. Sein Hirn arbeitete unermüdlich. Nach einigen Stunden, in denen er gelangweilt den Wechsel der Ziffern auf seiner Borduhr beobachtete, entschloss er sich schließlich, sich an seinen Schreibtisch zu setzen.
Er nahm einen Zettel vor und notierte die Informationen, die er im Gespräch mit der Konsulin und dem eher schweigsamen Dr. Kora erhalten hatte aber nicht einzuordnen vermochte.
Er erhielt ein unvergleichlich großzügiges Angebot einer Söldnerentlohnung. Nein, ein nie dagewesen großzügiges Angebot. Er erhielt es, obwohl er zu einer den Taradori tendenziell feindlich gesinnten Fraktion gehörte.
Sicherlich hatten Taradori und Martians seit jeher Geschäfte gemacht, wenn sich ein klarer Vorteil daraus ableiten ließ. Meist profitierten beide Seiten. Wenn nicht, profitierte zumindest die martianische Fraktion. Was musste er daraus schließen? Die Taradori wollten ihn als Söldner anheuern, um eine bescheuerte, angebliche Prophezeiung zu erfüllen. War es nur der Glaube der Taradori oder versuchten sie ihn schlicht zu linken und würden das Angebot zurück ziehen, wenn er einlenkte? Nein, die Taradori und die Skolari waren für Worttreue berüchtigt. Wenn es aber keine Finte war, warum bot man ihm eine Gegenleistung diesen Ausmaßes, obwohl er sich problemlos mit deutlich weniger zufrieden gegeben hätte? Er würde diesen Gedankengang aufschieben müssen. Es ergab schlicht keinen Sinn.

Man hatte ihn eingeladen, ein militärisches Geheimnis der Taradori zu besichtigen. Warum wollte man Geheimnisse an die feindliche Fraktion geben? Schließlich bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie sich im Vergleich zur Kriegsmaschinerie der Martian lächerlich machten. Es sei denn, sie waren im Besitz einer unerwartet fortschrittlichen Technologie. Doch dann machte es keinen Sinn, sie ihm vorzuführen, ohne eine Schweigevereinbarung mit ihm zu treffen, an die er sich aber womöglich nicht einmal halten würde. Die Martian waren, im Gegensatz zu den beiden anderen, bekannten Fraktionen, eher nicht für ihre Redlichkeit berühmt.
Martians sind eine eingeschworene Gemeinschaft aus Kriegern, die jeden sich ergebenden Vorteil gnadenlos auszunutzen gedachten. Nein, die Besichtigung würden sich die Taradori ganz gewiss noch einmal überlegen. Dieses Thema konnte er also genau genommen auch abhaken. Wenn sie es aber ernst meinten… Was, beim Mars, ritt diese Konsulin? Welches Spiel spielten sie mit ihm und, verdammt seien sie alle, was sollte die bescheuerte Prophezeiung?
Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und lauschte dem Verhallen innerhalb des Schiffskörpers. Irgendetwas lief hier und er war ein Fingerpüppchen im Spiel der Taradori. Er lauschte in die Stille. Rauschen, Klicken, leises Piepsen. Seine Nanniten würden den Schiffsrumpf bald wieder vollständig hergestellt haben. Dann sollte er sich so schnell wie möglich verpissen. Hier lief etwas, worauf er sich nicht einlassen mochte.
Die Konsulin sprach von einem taradorischen Plan, den die Skolari unterstützten. Wenn dies nicht gelogen war, wovon er ausgehen durfte, so handelte sie im Auftrag der taradorischen Fraktion, war also kein Abgesandter der Shinganischen Regierung. Die Nummer war groß.

Sein Rechner spuckte nach einigen Minuten ein kleines Dossier zu Dr. Kora aus. Er arbeitete für die Fraktion der Skolari und unterstand keiner Regierung. Von Lana Geser hatte er dies ja bereits angenommen und Recht behalten, was das zweite Blatt bewies. Er sollte also von zwei Fraktionen der Cybaeanischen Galaxis mit einer Mission beauftragt werden, die sie ihm als Prophezeiung verkaufen wollten.
Gegen wen sollte sich eine solche Mission richten? Es blieben nicht mehr viele Fraktionen übrig. Wie konnten die beiden Fraktionen annehmen, dass Brin sich gegen seine eigene wenden würde? Der Preis allein ließ ihn nicht von meinem Stolz abrücken, zur Martianischen Fraktion zu gehören. Niemals. Oder musste er nur hoch genug sein? Hatte er das Vorhaben seiner Besucher geblickt?
Er lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück und ließ diesen Gedanken kreisen.

Nein. Seine Schlussfolgerung konnte nicht stimmen. Weder die Taradori noch die Skolari wären so blauäugig, einen Martian auf Martians zu hetzen. Alles Kriegsgerät beider Fraktionen zusammen genommen würde nicht annähernd die Schlagkraft der martianischen Gesamtflotte aufbringen können. Ein solches Unterfangen würde scheitern. Man müsste die Martians trennen. Kleine Verbände könnte man aufreiben. Doch selbst dann würden die Martians den kriegerischen Akt erkennen und mit geballter Kraft einen Gegenschlag ausführen, der nicht mehr auf dem Feld der Ehre abliefe. Sie würden Dutzende Welten dem Erdboden gleich machen. Nein, beim Mars, das konnte nicht der Plan sein. Taradori sind pazifistisch. Allein die Tatsache, dass sie ein Flaggschiff bauten, widersprach allen Gepflogenheiten. Wollten sie etwa mit seiner Unterstützung gegen die Jurmala ziehen? Verdammt, nein. Das liefe exakt auf das Gleiche hinaus. Einen Krieg.

Ihm fehlte ein Puzzleteil. Oder war doch schon alles gesagt worden? Sie waren sicher, dass er der Auserwählte sei, der die Taradori und die Skolari aus einer Misere führen würde. Sie wollten einen Martian, weil sie dessen militärische Kenntnisse brauchten. Sie wollten ihn als Söldner. Sie wollten, dass er das Flaggschiff sah, damit er…
Er ballte seine Rechte zur Faust und biss auf den Zeigefinger. Brin kamen die Tränen vor Schmerz. Er lockerte den Biss. Nein, Puzzleteile hin oder her. Welche seiner Kampf- oder Überlebenserfahrungen konnte das Angebot von 20 Welten und unbeschreiblich kostspieliger Technologie rechtfertigen? Eine Todesmission?
Pazifisten, Flaggschiff, zwei Fraktionen, er als Martian mit überzogener Bezahlung… Eines wurde ihm bewusst. Er würde nicht darauf kommen, wenn er wie ein Martian dachte. Auf und ab zu gehen brachte ebenfalls keine neuen Erkenntnisse. Brin legte sich auf seine Koje und grübelte. Das Kreisen von Gedanken machte ihn augenscheinlich doch müde. Nach zwei weiteren Minuten schlief er.