Eine neue Welt 4

Konsul Geser hatte ihm eine Nachricht hinterlassen. Das nervöse Blinken des Kommunikators deutete auf mehrere Anrufe hin. Brin entschloss sich nach dem ergebnislosen Nachtmarathon, den Konsul zurückzurufen.
„Konsul Geser?“ sagte er, als am anderen Ende die Leitung aktiviert wurde.
„Captain Stenyard!“ sagte Geser erfreut. Ehrlich erfreut. „Ich wollte Sie noch einmal fragen, ob Sie sich eventuell doch mit mir unser Flaggschiff anschauen wollen.“ sagte sie.
„Geehrter Konsul, ich habe Sie kontaktiert, da mir sehr wohl etwas an diesem Vorschlag lag. Ich muss Sie aber darauf hinweisen, dass ich mich nur bedingt an eine Schweigevereinbarung halten würde.“ sagte Brin.
Die Konsulin nickte: „ Sie wissen sicherlich, Captain, dass ich im Namen der taradorischen Fraktion spreche und dürften davon ausgehen, dass mir alle nötigen Freiheiten zur Verhandlung mit Ihnen gewährt wurden.“
„Ja, Konsul, ich bin selbst zu diesem Schluss gekommen. Leider fehlt mir aber das taradorische Gehirn, um Ihren Plan dahinter zu entwirren.“ sagte Brin lächelnd.
Lana Geser lachte laut auf, schüttelte den Kopf.
„Captain!“ sagte sie, „ich hole Sie in etwa 20 Minuten zur Besichtigung ab. Sie werden Ihre Freude haben und ich versichere Ihnen, sie werden sich an eine Schweigevereinbarung halten, die wir sie nicht einmal unterzeichnen lassen.“ Konsul Geser setzte wieder ein vieldeutiges Lächeln auf und lies Brin Stenyard wie einen Idioten mit seinen nun noch wilder rotierenden Gedanken zurück.

Sie war pünktlich. Er hatte demonstrativ seine Fraktionsuniform angelegt. Stenyard trug sie nur selten. So groß war sein Stolz auf seine Fraktion, die Schattenregierung der Martians nun auch wieder nicht. Das wusste Konsul Geser aber nicht. Er wollte bewusst provozieren. Wollte zeigen, dass er sich nicht wie eine Marionette herum schubsen ließ.
Seine Minerva lag im Wartefeld des großen Docks. Er musste sich in Gedanken berichtigen, eines riesigen Docks. Stufe um Stufe erklommen er und Konsul Geser das Vorderschott nur um von oben auf ein Dach zu schauen, dass ihm den Blick verwehrte. War es doch nur ein Spiel? Die Halle erstreckte sich in alle Richtungen recht weit. Hier mochte problemlos ein Frachter der Imperialklasse oder ein Kriegsschiff der Leviathanklasse hinein passen. Nein, erneut musste er sich korrigieren. Davon passten leicht zwei oder drei allein in dieses Dock. Und von solchen Docks sah er in dieser Werft spontan sechs. Er holte tief Luft und begnügte sich mit dem schweifenden Blick auf die entfernte Metropole Shingans mit einer durchaus beeindruckenden Skyline.
„Es ist schön hier oben.“ begann Captain Stenyard.
„Nicht wahr.“ Der Konsul sah ebenso beeindruckt auf die umliegende Landschaft. „Sie würden so etwas brandschatzen wollen, Captain?“
Er sah sie entgeistert an: „Konsul Geser, nichts liegt mir ferner…“ Plötzlich spürte er die zuschnappende Falle. „Konsul, sie sprechen erneut von der Mission, für die Sie mich gewinnen wollen? Sie prüfen mich?“
„Ich muss Sie nicht prüfen, Captain, ich habe Sie längst überprüft. Ihre Akte ist für uns ein offenes Buch.
Keine blutrünstigen Angriffe auf Welten der Taradori und Skolari nach dem großen Frieden von Blau. Abschied von der Luftwaffe der martianischen Fraktion. Dies bedeutet für mich auch, dass Sie ihre Uniform tragen, um mich zu prüfen.“ Sie hob die Hand, um einem Einwand Brins zuvor zu kommen. „Sie leben von Schmuggel und mittelschwerer Piraterie, sie genießen die kulinarischen und wirtschaftlichen Vorzüge taradorischer Welten, statt jene zu vernichten.
Kurzum, Captain Stenyard, wir betrachten Sie nicht als unseren Feind. Sicherlich riskieren wir einiges, wenn wir Ihnen einen Preis offerieren, den Sie problemlos mit anderen Ihrer Fraktion teilen könnten, die womöglich Ihre Ansichten über die Genüsse unserer Welten nicht teilen. Dieses Angebot gilt auch nicht direkt Ihnen persönlich sondern der Mission. Der Erfüllung der Prophezeiung. Dass ihre Erfüllung angebrochen ist, wussten wir, als wir unser Flaggschiff fanden. Wer sie erfüllen wird, wussten wir, als Sie den Angriff der Jurmala überlebt und in unserem Orbit gestrandet waren.
Ich möchte Sie nicht langweilen. Sie trauen unserer Mission nicht und ich respektiere das.“
Als Konsul Geser schwieg, setzte Brin zu einer Erwiderung an, beließ es dann aber dabei. Er drehte sich um, sah auf den Warteplatz, auf dem sein in roten Tönen lackiertes, mit typisch martianisch oder gar martialisch anmutenden Wappen geschmücktes, stolzes Schiff einen verlorenen Eindruck machte. Rot die Farbe der Martian, grün die der Taradori und blau die der Skolari. Solange er denken konnte, war dies so.
Unter ihnen kam das Dach in Bewegung. Es öffnete sich. Captain Stenyard versuchte schon im Spalt des sich öffnenden Daches das grüne Flaggschiff auszumachen, sah aber nichts. Wo zum Teufel steckte das Flaggschiff? Wollten ihn die Taradori verscheißern? Das Dach schob sich weiter auf und er sah noch immer nichts.
Als das Dach des Docks vollständig offen stand, blickte er seine Begleiterin wütend an.
„Ich stehe nicht auf so was, Konsul.“
„Nicht, Captain? Ich hatte gehofft, dass Sie den Spaß verstehen…“
„Liebste Lana, ich bin hier nicht herauf geklettert, um mich von Ihnen über mein friedliches Gemüt belehren zu lassen, wenn es um die Besichtigung eines Schiffes geht…“
„Captain, warten Sie mit Ihren Anschuldigungen noch ein paar Minuten. Wir besichtigen das Schiff. Ich habe keineswegs beabsichtigt, Sie einer sinnlosen Gewissensprüfung zu unterziehen, wie Sie gerade anzunehmen scheinen… Oh, da, die Plattform ist oben. Kommen Sie!“
Sie betraten die Antigravplattform, die daraufhin recht schnell dem Hallenboden entgegen strebte. Sie hatten noch nicht ganz die halbe Strecke zurück gelegt, als das Dach sich über ihnen wieder schloss. Nun es war eine interessante Inszenierung, die ihre Wirkung auf Brin nicht verfehlt hatte. Es fehlt nun nur noch ein kleines Detail. Das Schiff.
Konsul Geser erhob wieder nur kurz die Hand, um seine Frage im Keim zu ersticken. Nach oben blickend verfolgte sie die Verriegelung des Daches.
Sie tippte auf ihren Unterarm und sprach kühl in ein für ihn unsichtbaren Kommunikator. Sie verständigte sich mit dem Chef des Docks, der sich an Bord des Schiffes musste. Statisches Knacken ließ darauf schließen, dass es sich doch weiter entfernt aufhielt.
„Lana, ich fand es bis hierhin lustig. Nun beginnt es mich zu langweilen. Was ist das für ein Spiel? Zeigen Sie mir schon Ihr grünes Monster.“
Konsul Geser lachte laut auf. „Sie haben ja keine Ahnung, Captain Stenyard. Ich mag grün, doch unser Flaggschiff stammt nicht aus Eigenproduktion. Wir haben es gefunden und geborgen. Taradori und Skolari sind seit Monaten daran, es auf den neuesten, technischen Standard zu bringen. Leider sind wir nicht in allen, technischen Dingen, insbesondere den militärischen bewandert genug, um Sinn und Unsinn eines Systems einzuschätzen.
Aber ich will Sie nicht langweilen, Captain Stenyard. Ein Blick sagt Ihnen mehr als meine Worte.
„Dr. Tansa?“ fragte die Konsulin in ihren Kommunikator. Brin vernahm die blecherne, von atmosphärischem Knistern durchsetzte Antwort. „Deaktivieren Sie den taktischen Tarnschild.“
Erst auf dieses Stichwort hin spürte Stenyard das dumpfe Vibrieren in der Luft, das aber auch kurz darauf schon in sich zusammen brach und den Blick auf das eher mittelgroße Schiff freigab. Doch Größe ist nicht alles. Brin Stenyard hatte seinen Meister gefunden. Er war sprachlos und blickte mit offenem Mund auf eine Legende, die so alt war, dass niemand in dieser Galaxis sie noch für wahr hielt. Dieses Schiff war weder rot noch blau oder grün. Es stammte aus einer Zeit, in der es noch keine Fraktionen gab. Es musste hunderte von Jahren alt sein und hatte nichts, rein gar nichts von seiner Faszination eingebüßt. Ein klobiger und doch strahlend schöner, schwarzer Rumpf lag vor ihnen.
„Darf ich vorstellen…“, begann Konsul Geser.
„Die Thanatos.“ flüsterte Brin mit trockenem Mund.
Konsul Geser zeigte zufrieden ihr mehrdeutiges Lächeln.