Eine neue Welt 5

Der martianischen Legende nach war die „Thanatos“ trotz ihres eigenwilligen Namens kein Schlachtschiff. Es war zwar schwer bewaffnet, besaß aber mittlerweile in Vergessenheit geratene Technologien zur Verteidigung. So gesehen passte sie zur pazifistischen Einstellung der Taradori.
Was aber noch interessanter war. Sie war eines von drei Schiffen, die seinerzeit vom Ursprungsplaneten der Menschheit, der Erde aufgebrochen waren, um neue Lebensräume zu erkunden. Anders als einige, vergleichbare Projekte, misslang dieses aber anscheinend. Man hörte nie wieder etwas von der „Thanatos“, der „Phoibos“ und der „Erebos“.
Man konnte den Menschen der Erde eine gewisse Spitzfindigkeit nicht absprechen, wenn die alten Überlieferungen der Übersetzungen korrekt sein sollten. Brin zweifelte daran, denn schriftliche Überlieferungen so alter Zeiten waren ihm unbekannt. Ständige Fehden und Kriege hatten Großteile aller schriftlichen Aufzeichnungen vernichtet. Andere Methoden der Archivierung waren leider selten zeitlos. Entweder fanden sich keine Wiedergabegeräte mehr für alte Speichersysteme oder die Speicher selbst waren nutzlos geworden.
Thanatos mochte ein Vermittler zwischen dem Licht und der Dunkelheit gewesen sein, während Phoibos oder Apollon als Verkörperung des Lichtes und Erebos als die der Dunkelheit antrat. Letztlich war aber allen Schiffen eines gemeinsam. Es waren Forschungsschiffe mit einer Mission, von der sie nie zurück kehrten.
Die „Thanatos“ hatte nun den Weg zurück in von Menschen bewohnte Gefilde gefunden. Wie auch immer. Doch von der Besatzung konnte niemand mehr am Leben sein. Hunderte, wenn nicht tausend Jahre waren inzwischen vergangen. Und sie sah aus wie neu. Einfach unglaublich. Ein Meisterwerk der menschlichen Ingenieurskunst.
Von außen betrachtet wirkte die „Thanatos“ klobig und willkürlich eckig. Ihre Konturen schienen vor dem Auge zu verschwimmen. Welch wundersames Erscheinungsbild dieses Fossils. Hätte man keine glänzende Lackierung gewählt, wäre dieses Schiff in der Düsternis der Halle kaum auszumachen. Von der Schwärze des Alls ganz zu schweigen. Möglicherweise war dies den Skolari entgangen. Eine glänzende Hülle reflektierte Licht und andere Wellen. Glänzte sie nicht, würde das Schiff quasi unsichtbar. Und dies bereits ohne seinen Tarnschild.
Er würde es den Taradori sagen. Wahrscheinlich auch dann, wenn er sich gegen eine Mitwirkung entschloss.
Brin sah die Konsulin an und fragte: „Darf ich… darf ich sie besichtigen?“
Die Konsulin lachte laut auf und nickte nur, während sie eine einladende Geste in Richtung des Schiffes machte.
„Wir haben durchgefegt und aufgeräumt. Die Nanniten haben sich um die Hülle gekümmert. Der Zahn der Zeit hatte doch beträchtlich an ihr genagt und sie ganz stumpf werden lassen.“ Stenyard grinste nur, ließ sie aber weitersprechen.
„Manche Systeme ließen sich problemlos starten, für andere fehlten uns Codes oder irgendwelche andere Mittel. Sie blieben uns unergründlich. Wenn wir es nicht besser wüssten, müssten wir annehmen, die Thanatos käme aus der Zukunft zu uns.“
Brin schaute den Konsul irritiert an. Geser sprach daraufhin weiter: „Die Kämpfe in den vergangenen Jahrhunderten, die Spaltung der Menschheit in Fraktionen… All das hat soviel Wissen vernichtet. Mehr als es hervorbrachte. Die uns verständlichen Systeme des Schiffes waren so unvergleichlich leistungsstark… Die Tarnung kennt unsere Wissenschaft in dieser Form nicht. Nun arbeiten die Skolari an einer praktikablen Form für unsere, eigenen Schiffe.“
Stenyard schmunzelte. Hatte sich seine Begleiterin gerade zu weit aus dem Fenster gelehnt, als sie ihm dieses Forschungsziel enthüllte? Nein, vermutlich gehörte das alles zu ihrem Plan, der ihm immer verständlicher zu werden schien. Sie wollten ihn an Bord dieses Schiffes auf eine Mission schicken, in der es wahrscheinlich zu Kämpfen kommen würde. Sein strategisches und taktisches Wissen würde benötigt. Vielleicht als Waffenoffizier? Aber das erklärte die Großzügigkeit des Angebots nicht. Es sei denn, es wäre ein Himmelfahrtskommando.
„Konsul, ich möchte Sie noch einmal fragen, was mit der Mission und meiner Rolle dabei zu bewenden hat. Am liebsten noch bevor Sie mir den Mund im Schiff so wässrig machen, dass ich keine Wahl mehr habe. Außer dem Tode vielleicht…“
Lana Geser schmunzelte: „Captain Stenyard, mir ist bewusst, dass ich Sie in eine bedenkliche Situation manövriere, wenn ich Sie mit an Bord der Thanatos nehme. Lassen Sie sich versichert sein, dass uns nicht daran gelegen ist, Sie in einen Gewissenskonflikt zu stürzen oder an dem gegenwärtigen, politischen Patt in dieser Galaxis zu rühren. Unser Angebot hat Bestand. Den Hintergrund darf ich Ihnen aber erst enthüllen, wenn Sie uns Ihre Mitwirkung schriftlich zugesagt haben.“
„Welche Rolle haben Sie mir in Ihrem Spiel zugedacht, Lana?“ Brin blieb trotzig vor der Luke stehen.
Lana Geser seufzte und sagte: „Ich bitte Sie, Captain, beenden Sie mit mir den Rundgang durch das Schiff und ich werde Ihnen Rede und Antwort stehen. Denn bis dahin werden Sie mir Ihre Mitwirkung zugesagt haben.“
Stenyard war irritiert, folgte aber der erneuten, einladenden Armbewegung des Konsuls und betrat das Schiff.